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Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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und Prostitution war ohne Kenntnis und ohne Erkenntnisgewinn diskutiert worden, eine TV -Talkshow hatte die Frage thematisiert, ob es an der Zeit sei, ein generelles Verbot von Prostitution nach schwedischem Vorbild auch in Finnland zu installieren, und ein Politiker hatte die Forderung erhoben, die Modalitäten der Zuwanderung aus osteuropäischen EU -Beitrittsländern neu zu überdenken beziehungsweise einer Klärung zuzuführen.
    Am Ende war Taina auf dem Sofa neben ihm eingeschlafen, und Sedin hatte den Ton auf lautlos gestellt, ohne den Fernseher auszuschalten, und in der Stille gesessen, auf der Suche nach einer Erinnerung. An Réka. Mit dem Strich über dem e.
    In der Berichterstattung, in den wahlweise wirklichkeitsfremden oder bürokratisch pragmatischen Erwägungen der Talk-Gäste und in den gestanzten Sätzen des Nachrichtensprechers war Réka nicht anwesend gewesen. Kein einziger dieser schlauen Leute hatte die Frage gestellt, was für ein Mensch sie gewesen sein könnte. Als Sedin aufgestanden war, leise, um Taina nicht zu wecken, hatte er sich gefragt, ob er die Erinnerung an Réka, an das, was er mit ihr erlebt hatte, an das, was sie gewesen war, je wiederfinden würde.
    Er nahm ein weiteres Glas mit rotem Sekt von einem Tablett und betrachtete die fremden, vertrauten Menschen auf der Dachterrasse. Bergenheim stand mit Markkanen, Leno und dem Jungen aus der Asienabteilung am Rand der Aussichtsplattform, und während Sedin auf sie zulief und Bergenheims breites, ungebrochenes Lachen hörte, stellte er sich vor, dass der Junge aus der Asienabteilung Japanisch sprechen würde, wenn er ankam. Und er würde verstehen, was er sagte. Jedes Wort.
    »Was säufst du denn da?«, fragte Markkanen, ungewohnt forsch.
    »Prosecco für Angeschwulte«, sagte Leno, bemerkenswert selbstbewusst, und der Junge aus der Asienabteilung sprach weder Japanisch noch sonst irgendetwas, sondern betrachtete schweigend und gedankenverloren das Getränk, das Sedin in der Hand hielt.
    »Schmeckt sehr gut«, sagte Sedin, in der Hoffnung, wenigstens den Jungen aus der Asienabteilung auf seine Seite ziehen zu können.
    »Na dann«, sagte Markkanen.
    »Da sage ich mal – dein Gesöff erreicht mühelos den Benchmark im marktrelevanten Index«, sagte Bergenheim.
    »Hm«, sagte Sedin. Er wendete sich ab und ließ sich von der Sonne blenden, einer plötzlichen, warmen Sonne, die ganz anders war als die kalte. Die kalte Sonne, die geschienen hatte, als er in dem kleinen Wagen über Schotterstraßen zu dem flachen, schiefen Dorf gefahren war, an der rumänisch-ungarischen Grenze, im Irgendwo, die letzte Wegstrecke, die letzten Meter einer langen Reise, versperrt von Schafen, die nicht hatten verschwinden wollen und noch immer nicht verschwinden wollten.
    Die letzten Meter, die ihn von Réka trennten.
    Er hörte vage Bergenheim von Dingen reden, die nicht relevant waren, und widerstand dem Impuls, ihn zu unterbrechen und von den Schafen zu erzählen, von der Geduld der Schafe, die so groß und bedingungslos war, dass sie ausgereicht hätte für ein Leben, das nicht endete.
    Er blieb, bis das Fest ausklang, bis die Bediensteten das Geschirr abräumten und die Tische zusammenklappten und der Abend kam, kühler, als der Tag versprochen hatte.
    »Fast beruhigend«, sagte der Junge aus der Asienabteilung, nicht japanisch, sondern akzentfrei finnisch.
    »Hm?«, sagte Sedin.
    »Fast beruhigend, dachte ich gerade. Dass der Abend ein bisschen kühl ist, man dachte ja fast, der Winter würde nahtlos zum Sommer werden.«
    »Ach so. Ja«, sagte Sedin.
    »Das wäre doch schade gewesen. Und irgendwie … unnatürlich.«
    Unnatürlich, dachte Sedin.
    »Also … es wäre schade gewesen, wenn der Frühling in diesem Jahr einfach so … ausgefallen wäre«, sagte der Junge aus der Asienabteilung.
45
    Die Befragung der Frauen, die im Club Villa Bella arbeiteten, erwies sich als schwierig, und Sundström kündigte in einer Pause an, in Kürze Fortbildungen in Rumänisch, Lettisch und Weißrussisch belegen zu wollen, woraufhin Grönholm fragte, ob es das überhaupt gebe.
    »Was?«, fragte Sundström.
    »Weißrussisch. Ist das eine eigene Sprache?«
    »Mann«, sagte Sundström und trank einen Schluck Kaffee.
    »Und außerdem kommt keine der Frauen aus Weißrussland«, sagte Grönholm. »Oder?«
    »Petri, lass uns einfach weitermachen, ja?«, sagte Sundström, und als sie wenige Minuten später wieder einer der jungen Frauen gegenübersaßen und die englische

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