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Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)

Titel: Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Costin Wagner
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hatte kein Später gegeben, und Sedin fragte sich, jetzt, an seinem Schreibtisch sitzend, wie dieses Später eigentlich hätte aussehen sollen. Wie hatte Réka sich das vorgestellt?
    Er betrachtete den Brief, der neben Rékas Handtasche auf dem Schreibtisch lag, das behördliche Schreiben, eine freundliche Anfrage der »Polizeidirektion der Stadt Helsinki, Dezernat für Gewaltverbrechen«, die sich an alle Eigentümer der Wohnsiedlung Rannankatu 8   –   24 gerichtet hatte.
    Die Eigentümer waren darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass am 30. Juni im Rahmen einer staatsanwaltlichen Ermittlung einige der Wohnungen in besagter Neubausiedlung polizeilich begutachtet werden sollten. Was immer das genau heißen sollte. Die Wohnungsbesitzer waren darüber hinaus gebeten worden, sich innerhalb der kommenden zehn Tage unter der angegebenen Mail-Adresse oder der angegebenen Telefonnummer mit der Maßnahme einverstanden zu erklären oder aber jene Maßnahme abzulehnen, wobei darauf hingewiesen wurde, dass im Falle der Ablehnung begründete Einwände wünschenswert seien.
    Der Brief war zwei Wochen zuvor gekommen, der Umschlag hatte unverfänglich ausgesehen, und Taina hatte ihn auf seinen Schreibtisch gelegt, ohne ihn zu öffnen. Sedin hatte das Anschreiben gelesen und war anschließend lange sitzen geblieben, über Worte nachdenkend. Besagte Neubausiedlung. Staatsanwaltliche Ermittlung. Begründete Einwände.
    Er hatte versucht, sich die Wohnung vorzustellen, so wie sie ausgesehen hatte, als er sie verlassen und die Tür verschlossen hatte. Eine neue Wohnung. Unberührt. Dosiert, aber geschmackvoll ausgestattet, jederzeit bereit, einen ersten Bewohner willkommen zu heißen. Er hatte den Brief zurück in den Umschlag geschoben und den Umschlag in die Schublade gelegt, in der er auch Rékas Handtasche, die Handys, die Geldbörse des toten Freundes und die Pässe aufbewahrte. Er hatte die Schublade abgeschlossen und den Schlüssel, wie immer, in die Innentasche des Mantels gelegt, mit dem er jeden Tag zur Arbeit ging.
    Der 30. Juni war gerade vergangen, der Morgen dämmerte, es würde sonnig und warm werden, die »polizeiliche Begutachtung« der schönen Zweitwohnung im Park am Meer hatte stattgefunden, und kein Polizist hatte an seiner Tür geklingelt. Nichts war passiert, und er hatte das Gefühl, die Sprache, die er erlernen musste, um weiterleben zu können, zunehmend besser zu beherrschen, die ersten Worte hatten sich schon eingestellt, die ersten Vokabeln hatte er abgespeichert.
    »Papa?«
    Er sah zur Tür, die Ville nur einen Spaltbreit geöffnet hatte, er stand unschlüssig auf der Schwelle. Er nahm ohne Eile die Handtasche, legte die Handys hinein und verstaute sie in der Schublade.
    »Komm rein, Ville. Gut geschlafen?«
    Ville schüttelte den Kopf und torkelte schlaftrunken ins Zimmer. »Irgendwas Schlechtes geträumt«, murmelte er.
    »Weißt du noch, was?«
    Ville nickte.
    »Willst du … es mir sagen?«
    Ville schüttelte den Kopf. »War so komisch«, sagte er und kam näher, und als er in Reichweite war, nahm Sedin ihn in den Arm und begann, seinen Kopf zu streicheln.
    Er nahm sich vor, das so lange zu tun, bis die bösen Gedanken und die falschen Bilder vergangen sein würden.

IN EINER ANDEREN ZEIT, AN EINEM ANDEREN ORT
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    Naantali ist eine kleine, sehr schöne Stadt unweit von Turku, im Südwesten Finnlands, eine der ältesten Städte unseres Landes, und die Altstadt mit den Holzhäusern in allen Farben lockt alljährlich viele Touristen an.
    Im Bootshafen gibt es Cafés und Restaurants, im Sommer wird dort Musik gespielt, und in Sichtweite auf der Insel Luonnonma befindet sich bereits seit 1922 der Sommersitz des finnischen Präsidenten.
    Jo. Herzlich willkommen.
    Ich bin Unto, Ihr Fremdenführer. Sehr erfreut.
    Folgt man dem Pfad der Cafés und Restaurants zum Sandstrand, trifft man auf die Brücke, die auf die Insel Kailo führt, ein idyllisches Eiland, auf dem seit 1993 die Welt der Mumins zu besichtigen ist, ein Themenpark für Kinder, der ganz im Zeichen der von der finnlandschwedischen Schriftstellerin Tove Jansson geschaffenen Trollwesen steht, den Mumins.
    Ich selbst war einmal in diesem Park und möchte darauf an dieser Stelle kurz zu sprechen kommen. Es war ein warmer Sommertag, wir waren zu viert, meine Eltern, meine Schwester Mari und ich. Die erste Erinnerung, die ich habe, ist, dass ich voller Vorfreude war.
    Ich war sieben Jahre alt und damals ein großer Freund der Mumin-Familie. Ich

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