Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
an dem sie auf ihn warten würde.
Der Schaffner kam, prüfte sein Ticket, hatte keine Einwände. Hinter den Scheiben war der Sommer klar und blau. Die Fahrt war ein langer Augenblick des Wartens.
Als er ankam, empfand er das Rauschen des Meeres, das Schlagen der Wellen, als etwas, das ihm galt, und während er zur Strandpromenade lief, verschmolz das Geräusch mit dem Summen des Windes zu einem Gesang, den nur er hören konnte.
Das Hotel stand gelb und rechteckig vor der weiten Fläche des Wassers, der Strand war angefüllt von lachenden, schreienden Menschen, und Jarkko Falk erinnerte sich an einen Plan, den sie gehabt hatten, Réka und er, eine Idee, die sie geteilt hatten, die Idee, im Sommer hier schwimmen zu gehen.
Er checkte ein, fuhr mit dem Aufzug nach oben, ging durch den Flur, öffnete die Tür zu seinem Zimmer, legte die Tasche auf das Bett und trat ans Fenster. Er zog einen der roten Sessel heran und setzte sich. Am Horizont fuhr eine Fähre, in der Mitte des Meeres fielen Surfer von ihren Brettern, am Rand des Wassers warfen sich Kinder in die Ausläufer der Wellen.
Es war ein schöner Ort, aber kein magischer.
Niemand wartete.
Manchmal dachte er über den Taxifahrer nach. Der, gemeinsam mit ihm, gewartet hatte. Der sich schon in dieser Nacht wenig für ihn interessiert hatte und der offensichtlich auch keine Notiz genommen hatte von den Toten, auf der Parkbank, in Helsinki, oder es war ihm einfach zu anstrengend gewesen, Zusammenhänge zu erkennen und den ermittelnden Behörden von dem merkwürdigen nächtlichen Fahrgast zu erzählen … wow, Verfolgungsjagd, hatte der Mann gesagt, und müde den Wagen beschleunigt …
Er dachte an die Waffe, die nicht ihm gehörte. Von der er nicht wusste, wie sie funktionierte. Die er nicht in den See geworfen hatte. Weil er eine Lücke in der Logik wahrgenommen hatte, er wusste nur noch nicht, wie diese Lücke zu füllen sein würde.
Er schloss die Augen, und während der Gesang des Windes und der Wellen langsam abebbte, schlief er ein.
VIERTER TEIL
AUGUST
65
Ende August feierte Ari Kauppinen Geburtstag, und die Ekholms waren eingeladen. Das erste Fest seit Annas Tod, dachte Lasse Ekholm, während er durch das Fensterglas die Schaukel, das Fußballtor und den hellen Himmel betrachtete. Aus dem Schlafzimmer drang leise Kirstis Gesang.
Eher ein Summen. Ein monotones Summen, das nie in eine Melodie mündete. Er rieb sich die Schläfen und versuchte, den Ton aus seinen Gedanken zu entfernen, aber es gelang nicht. Der Ton hallte nach, nachdem Kirsti längst zu schweigen begonnen hatte. Dann stand sie im Türrahmen und sagte, sie sei so weit.
Er erwiderte ihr Lächeln.
»Gut siehst du aus«, sagte er.
Kirsti nickte, zog sich eine Jacke über, die zu ihrem Kostüm passte, und dann liefen sie durch die Wärme eines frühen warmen Abends zu dem neuen Wagen, der silbern glänzend unter der Sonne stand und unberührt wirkte. Lasse Ekholm dachte an den Verkäufer im Autohaus, der Kirsti einen roten Blumenstrauß überreicht, sie zu ihrer Wahl beglückwünscht und allzeit eine gute Fahrt gewünscht hatte.
Kirsti stieg ein, und sie fuhren schweigend. Die Klimaanlage funktionierte einwandfrei, und nach einiger Zeit sagte Kirsti, dass sie sich auf die Feier freue.
»Du auch?«, fragte sie.
»Hm?«
»Freust du dich auch?«
»Sicher«, sagte er.
»Kommt nicht auch Sven? Mit Marisa?«
»Ja. Ich denke schon. Sicher«, sagte er.
»Habt ihr nicht darüber gesprochen?«
Ekholm sah sie an. Er hatte das Gefühl, dass sich der neue Wagen ohne sein Zutun fortbewegte. Ein ganz besonderes Fahrgefühl, hatte der Verkäufer im Autohaus versprochen.
»Ja, doch«, sagte er. »Sven hat gesagt, dass er kommen will. Und Marisa auch.«
»Schön«, sagte Kirsti. »Ich habe die beiden seit … ziemlich lange her, seit wir uns gesehen haben.«
Ekholm nickte. Ein Wiedersehen der Freunde, dachte er. Ari Kauppinen, Sven Lövgren und er selbst, Fußball spielend, mit einem kleinen gelben Tennisball, in einem anderen Leben, in Schulhofpausen.
Ari Kauppinen, Anwalt.
Sven Lövgren, Architekt.
Sven Lövgren, sein Kompagnon im gemeinsamen Büro, der seit einiger Zeit dafür sorgte, dass die Firma sich über Wasser hielt, obwohl der Chef nicht anwesend war. Vielleicht würde er im Lauf des Abends eine Gelegenheit finden, einen geeigneten Moment, um sich bei Sven zu bedanken.
Kirsti schaltete das Radio an, die Melodie drang sofort ins Gehirn, eine beliebige Melodie, tausendfach gehört.
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