Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
manchmal und dass du der liebste Mensch bist, der mir begegnet ist.
Manchmal denke ich gar nicht an dich, dann bist du wie nie da gewesen. Ein Schatten, der nichts bedeutet, genauso wenig wie alles andere.
Manchmal überlege ich, zu deinem Haus am See zu fahren, und sei es nur, weil ich sichergehen will, dass die Giraffe unter dem Apfelbaum liegt. Da liegt sie doch, oder?
Weshalb ich schreibe: zum Thema Liebeskasper. Zu dem Fall, an dem du arbeitest – ich habe, vor einigen Jahren, davon gelebt. Hatte drei von der Sorte gleichzeitig, und das hat mir wirklich geholfen, weil das Geschäft mit normalen Freiern schlecht lief.
Einer meiner Kasper hat die Sache auf die Spitze getrieben, der kam am Ende immer in das Haus, in dem ich gearbeitet habe, und brachte Geld. Also, er brachte Geld und ging sofort wieder. Das war ihm wichtig, er wollte mir signalisieren, dass er nichts haben möchte, dass er sich nichts kaufen will, dass er nur helfen will.
Ich vermute, das ist wahre Liebe.
Ich will dir eine Sache sagen, die dir vielleicht hilft, in diesem Fall, an dem du arbeitest. Ich habe diese Männer belogen und verachtet, mehr noch als andere Freier, aber gleichzeitig habe ich sie auch irgendwie bewundert und gemocht. Es war schwierig, traurig, zwiespältig.
Viele der Damen aus Osteuropa geben das Geld ihrer Liebestrottel gleich weiter, an ihre »Freunde«, die in der Regel Zuhälter sind. Die Damen belügen die Kasper, die »Freunde« belügen die Damen. Vielleicht hatte, in deinem Fall, ein Kasper die Schnauze voll von dem Scheiß. Würde ich ihm nicht mal übel nehmen.
Ich wünsche dir einen schönen Tag und später eine gute Nacht.
L.
Joentaa las, und dann las er noch einmal. Die längste Nachricht, die Larissa je geschrieben hatte. Die Worte hallten nach, er hörte ihre Stimme, so als hätte sie die Worte laut ausgesprochen. Er blieb für eine Weile unschlüssig sitzen, versuchte die Worte zu sortieren. Viele wichtige Worte, aber seine Gedanken blieben an einem Satz haften, der ganz beiläufig gewesen war.
Er dachte an den Mann, der in Helsinki hinter der Scheibe gesessen hatte, im Vernehmungsraum, in einem stummen Dialog mit Westerberg. Markus Sedin, Fondsmanager der Norda-Bank. Verliebt in die falsche Frau. Oder in die richtige. Zur falschen Zeit. Wer wusste das schon. Ein lieber Mensch, hatte Réka Nagys Mutter gesagt.
Sedin saß seit einigen Wochen in Untersuchungshaft, die Ermittlungsergebnisse waren eindeutig und nicht interpretierbar. Die kriminaltechnische Untersuchung der Wohnung hatte zweifelsfrei ergeben, dass Réka Nagy und Victor Dinu dort erschossen worden waren. Die sichergestellte Munition ließ auf eine in Osteuropa hergestellte Tatwaffe schließen, die vermutlich im Besitz von Victor Dinu gewesen war, bis Sedin sie, auf welche Weise auch immer, an sich genommen und abgedrückt hatte. Motiv Eifersucht. Rasende Eifersucht vermutlich. Tief empfundene Demütigung.
Die Tatwaffe blieb verschwunden, die an der Kleidung der Toten sichergestellten Faserspuren wiesen Übereinstimmungen mit Kleidungsstücken Sedins auf und stimmten auch mit dem Material der Plane überein, die im Garten der Familie Sedin das Schwimmbad schützte.
Joentaa schloss die Augen und dachte an den Mann hinter der Scheibe, der nicht mehr gesprochen, nur noch genickt hatte.
Die Ermittlung, die lange auf der Stelle getreten war, war plötzlich, von einem Moment auf den anderen, in einer atemberaubenden Geschwindigkeit vorangeschritten und hatte in diesem Mann einen unverrückbaren Fokus gefunden, ein Zielobjekt, auf das sich tatsächlich jedes Indiz, jedes Beweismittel hatte anwenden lassen.
Die Ermittlung war abgeschlossen. Aber manchmal hatte sich Joentaa in den vergangenen Wochen daran erinnert, dass Sedin Westerbergs Frage, ob er die beiden getötet habe, mit einem Schweigen beantwortet hatte. Nur mit einem Schweigen.
Nicht mit einem Nicken.
69
Ari Kauppinen erzählte von seinen Fällen, Virpi erzählte von einer Sommergrippe, die sie gehabt hatte, und Marisa Lövgren erzählte, dass an ihrer Schule eine Salmonellenvergiftung aufgetreten war, vor einigen Wochen, einige Schüler waren erkrankt, es war erwogen worden, die Schulküche vorübergehend zu schließen. Inzwischen sei alles wieder gut, aber es habe ihr Angst gemacht.
Lasse Ekholm fragte sich, ob die anderen bewusst von eigenen Problemen berichteten, von Ängsten und Sorgen, um das eigentliche Problem, das nicht zur Sprache kommen durfte, in einen größeren
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