Tage in Burma
hatte er es gerade noch vermieden, die Frau des Doktors zu sehen. Er ging um das Haus herum zur
Vorderseite und rief zur Veranda hinaus:
»Doktor! Sind Sie beschäftigt? Darf ich raufkommen?«
Der Doktor, eine kleine schwarzweiße Gestalt, kam aus dem
Haus geschossen wie ein Schachtelmännchen. Er kam eilig zur Verandabrüstung und rief überschwenglich:
»Ob Sie heraufkommen dürfen! Natürlich, natürlich, kommen
Sie augenblicklich herauf! Ah, Mr. Flory, wie ganz reizend, Sie zu sehen! Kommen Sie, kommen Sie herauf. Was wollen Sie
trinken? Ich habe Whisky, Bier, Wermuth und andere
europäische Getränke. Ah, mein lieber Freund, wie habe ich mich nach einem kultivierten Gespräch gesehnt!«
Der Doktor war ein kleiner, schwarzer, dicklicher Mann mit krausem Haar und runden, vertrauensseligen Augen. Er hatte eine in Stahl gefaßte Brille und trug einen schlecht sitzenden weißen Drellanzug, dessen Hosen sich harmonikaartig über
plumpen schwarzen Stiefeln bauschten. Er hatte eine eifrige blubbernde Stimme und zischte das »s«. Während Flory die
Stufen hinaufstieg, schoß der Doktor ans andere Ende der
Veranda, wo er in einer großen blechernen Eistruhe kramte und sehr schnell Flaschen aller Art hervorzog. Die Veranda war breit und dunkel mit einer tief herabreichenden Dachtraufe, von der Körbe mit Farnkraut herabhingen, so daß sie wie eine Höhle
-41-
hinter einem Wasserfall von Sonnenschein wirkte. Sie war mit langen Stühlen mit Rohrsitzen ausgestattet, die im Gefängnis angefertigt wurden, und am einen Ende stand ein
Bücherschrank, der eine ziemlich reizlose kleine Bibliothek enthielt, hauptsächlich Bücher mit Essays von der Art Emerson-Carlyle-Stevenson. Der Doktor, ein eifriger Leser, hielt darauf, daß seine Bücher das hatten, was er eine ›moralische
Bedeutung‹ nannte.
»Nun, Doktor«, sagte Flory - der Doktor hatte ihn inzwischen auf einen Liegestuhl genötigt, die Fußstütze herausgezogen, so daß er sich hinlegen konnte, und Zigaretten und Bier in
Reichweite gestellt. »Nun, Doktor, wie geht’s denn so? Was macht das britische Empire? Leidet an Lähmung wie üblich?«
»Aha, Mr. Flory, es geht ihr sehr schlecht, sehr schlecht!
Schwere Komplikationen haben eingesetzt. Blutvergiftung,
Peritonitis und Nervenlähmung. Ich fürchte, wie werden
Spezialisten zuziehen müssen. Aha!«
Es war ein Scherz zwischen den beiden Männern, als wäre das britische Empire eine bejahrte Patientin des Doktors. Der Doktor genoß diesen Spaß seit zwei Jahren, ohne seiner müde zu
werden.
»Ach, Doktor« sagte Flory, im Liegestuhl ausgestreckt, »was für eine Freude, hier zu sein nach diesem verdammten Club.
Wenn ich zu Ihnen gehe, fühle ich mich wie ein
nonkonformistischer Geistlicher, der sich in die Stadt verdrückt und mit einer Hure nach Hause geht. So köstliche Ferien von denen« - er wies mit einem Absatz in die Richtung des Clubs -,
»von meinen geliebten Miterbauern des Empires. Britisches
Prestige, die Bürde des weißen Mannes, der Pukka Sahib ohne Furcht und Tadel - Sie wissen schon. Solch eine Erleichterung, ein Weilchen aus diesem Gestank heraus zu sein.«
»Mein Freund, mein Freund, nun mal langsam, bitte! Das ist übertrieben. Sie dürfen nicht solche Sachen von ehrenwerten
-42-
Engländern sagen!«
»Sie brauchen dem Gerede von den ehrenwerten Herren nicht
zuzuhören, Doktor. Ich habe es heute morgen so lange
ausgehalten, wie ich konnte. Ellis mit seinem ›dreckiger
Nigger‹, Westfield mit seinen Witzen, Macgregor mit seinen lateinischen Redensarten und bitte dem Überbringer fünfzehn Peitschenhiebe geben. Aber als sie bis zu der Geschichte von dem alten Havildar gediehen waren - Sie wissen, der liebe alte Havildar, der sagte, wenn die Briten aus Indien rausgingen, würde es keine Rupie und keine Jungfrau mehr zwischen - Sie wissen schon; na ja, ich konnte es nicht mehr aushaken. Es ist Zeit, daß dieser alte Havildar in den Ruhestand tritt. Er sagt dasselbe die ganze Zeit seit dem Jubeljahr siebenundachtzig.«
Der Doktor wurde aufgeregt wie immer, wenn Flory die
Clubmitglieder kritisierte. Er stand mit seinem dicken Hintern an die Verandabrüstung gelehnt und gestikulierte dann und
wann. Wenn er nach einem Wort suchte, legte er seinen
schwarzen Daumen und Zeigefinger zusammen, als wollte er
einen in der Luft schwebenden Gedanken fangen.
»Aber bitte, Mr. Flory, Sie dürfen nicht so sprechen! Wie
kommt es, daß Sie immer die Pukka Sahibs, wie Sie
Weitere Kostenlose Bücher