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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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hatte er es gerade noch vermieden, die Frau des Doktors zu sehen. Er ging um das Haus herum zur
    Vorderseite und rief zur Veranda hinaus:
    »Doktor! Sind Sie beschäftigt? Darf ich raufkommen?«
    Der Doktor, eine kleine schwarzweiße Gestalt, kam aus dem
    Haus geschossen wie ein Schachtelmännchen. Er kam eilig zur Verandabrüstung und rief überschwenglich:
    »Ob Sie heraufkommen dürfen! Natürlich, natürlich, kommen
    Sie augenblicklich herauf! Ah, Mr. Flory, wie ganz reizend, Sie zu sehen! Kommen Sie, kommen Sie herauf. Was wollen Sie
    trinken? Ich habe Whisky, Bier, Wermuth und andere
    europäische Getränke. Ah, mein lieber Freund, wie habe ich mich nach einem kultivierten Gespräch gesehnt!«
    Der Doktor war ein kleiner, schwarzer, dicklicher Mann mit krausem Haar und runden, vertrauensseligen Augen. Er hatte eine in Stahl gefaßte Brille und trug einen schlecht sitzenden weißen Drellanzug, dessen Hosen sich harmonikaartig über
    plumpen schwarzen Stiefeln bauschten. Er hatte eine eifrige blubbernde Stimme und zischte das »s«. Während Flory die
    Stufen hinaufstieg, schoß der Doktor ans andere Ende der
    Veranda, wo er in einer großen blechernen Eistruhe kramte und sehr schnell Flaschen aller Art hervorzog. Die Veranda war breit und dunkel mit einer tief herabreichenden Dachtraufe, von der Körbe mit Farnkraut herabhingen, so daß sie wie eine Höhle
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    hinter einem Wasserfall von Sonnenschein wirkte. Sie war mit langen Stühlen mit Rohrsitzen ausgestattet, die im Gefängnis angefertigt wurden, und am einen Ende stand ein
    Bücherschrank, der eine ziemlich reizlose kleine Bibliothek enthielt, hauptsächlich Bücher mit Essays von der Art Emerson-Carlyle-Stevenson. Der Doktor, ein eifriger Leser, hielt darauf, daß seine Bücher das hatten, was er eine ›moralische
    Bedeutung‹ nannte.
    »Nun, Doktor«, sagte Flory - der Doktor hatte ihn inzwischen auf einen Liegestuhl genötigt, die Fußstütze herausgezogen, so daß er sich hinlegen konnte, und Zigaretten und Bier in
    Reichweite gestellt. »Nun, Doktor, wie geht’s denn so? Was macht das britische Empire? Leidet an Lähmung wie üblich?«
    »Aha, Mr. Flory, es geht ihr sehr schlecht, sehr schlecht!
    Schwere Komplikationen haben eingesetzt. Blutvergiftung,
    Peritonitis und Nervenlähmung. Ich fürchte, wie werden
    Spezialisten zuziehen müssen. Aha!«
    Es war ein Scherz zwischen den beiden Männern, als wäre das britische Empire eine bejahrte Patientin des Doktors. Der Doktor genoß diesen Spaß seit zwei Jahren, ohne seiner müde zu
    werden.
    »Ach, Doktor« sagte Flory, im Liegestuhl ausgestreckt, »was für eine Freude, hier zu sein nach diesem verdammten Club.
    Wenn ich zu Ihnen gehe, fühle ich mich wie ein
    nonkonformistischer Geistlicher, der sich in die Stadt verdrückt und mit einer Hure nach Hause geht. So köstliche Ferien von denen« - er wies mit einem Absatz in die Richtung des Clubs -,
    »von meinen geliebten Miterbauern des Empires. Britisches
    Prestige, die Bürde des weißen Mannes, der Pukka Sahib ohne Furcht und Tadel - Sie wissen schon. Solch eine Erleichterung, ein Weilchen aus diesem Gestank heraus zu sein.«
    »Mein Freund, mein Freund, nun mal langsam, bitte! Das ist übertrieben. Sie dürfen nicht solche Sachen von ehrenwerten
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    Engländern sagen!«
    »Sie brauchen dem Gerede von den ehrenwerten Herren nicht
    zuzuhören, Doktor. Ich habe es heute morgen so lange
    ausgehalten, wie ich konnte. Ellis mit seinem ›dreckiger
    Nigger‹, Westfield mit seinen Witzen, Macgregor mit seinen lateinischen Redensarten und bitte dem Überbringer fünfzehn Peitschenhiebe geben. Aber als sie bis zu der Geschichte von dem alten Havildar gediehen waren - Sie wissen, der liebe alte Havildar, der sagte, wenn die Briten aus Indien rausgingen, würde es keine Rupie und keine Jungfrau mehr zwischen - Sie wissen schon; na ja, ich konnte es nicht mehr aushaken. Es ist Zeit, daß dieser alte Havildar in den Ruhestand tritt. Er sagt dasselbe die ganze Zeit seit dem Jubeljahr siebenundachtzig.«
    Der Doktor wurde aufgeregt wie immer, wenn Flory die
    Clubmitglieder kritisierte. Er stand mit seinem dicken Hintern an die Verandabrüstung gelehnt und gestikulierte dann und
    wann. Wenn er nach einem Wort suchte, legte er seinen
    schwarzen Daumen und Zeigefinger zusammen, als wollte er
    einen in der Luft schwebenden Gedanken fangen.
    »Aber bitte, Mr. Flory, Sie dürfen nicht so sprechen! Wie
    kommt es, daß Sie immer die Pukka Sahibs, wie Sie

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