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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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sagen,
    beschimpfen? Sie sind das Salz der Erde. Bedenken Sie die
    großen Dinge, die sie vollbracht haben - bedenken Sie die großen Verwaltungsbeamten, die Britisch Indien zu dem
    gemacht haben, was es ist. Denken Sie an Clive, Warren
    Hastings, Dalhousie, Curzon. Das waren Männer - ich zitiere Ihren unsterblichen Shakespeare - nehmt alles nur in allem, wir werden nimmer ihresgleichen sehn!«
    »Na ja, möchten Sie denn ihresgleichen wiedersehen? Ich
    nicht.«
    »Und bedenken Sie, was für ein edler Typ der englische
    Gentleman ist! Ihre prachtvolle Treue zueinander! Der Geist der Public School! Selbst die, die nicht sehr glückliche Manieren
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    haben - manche Engländer sind arrogant, das gebe ich zu -, haben die großen, gediegenen Eigenschaften, die uns Orientalen fehlen. Unter ihrer rauhen Schale haben sie ein goldenes Herz.«
    »Wollen wir nicht lieber vergoldet sagen? Es herrscht eine gewisse unechte Kameradschaft zwischen den Engländern und
    diesem Lande. Es ist Tradition, sich zusammen zu besaufen und sich gegenseitig zum Essen einzuladen und so zu tun, als wäre man Freunde, und dabei hassen wir einander alle wie Gift.
    Zusammenhalten nennen wir das. Es ist eine politische
    Notwendigkeit. Natürlich hält der Suff die Maschine im Gang.
    Wir würden sonst alle verrückt werden und uns binnen einer Woche gegenseitig umbringen. Das ist ein Thema für einen von Ihren erhebenden Essayisten, Doktor. Suff als Zement des
    Empires.«
    Der Doktor schüttelte den Kopf. »Wirklich, Mr. Flory, ich
    weiß nicht, was hat Sie so zynisch gemacht. Es ist so ganz unpassend! Sie - ein englischer Gentleman von hohen Gaben und Charakterzügen - daß Sie solche aufrührerischen
    Meinungen äußern, die des Burma-Patrioten würdig wären!«
    »Aufrührerisch?« sagte Flory. »Ich bin nicht aufrührerisch.
    Ich will nicht, daß die Burmanen uns aus diesem Lande jagen, da sei Gott davor! Ich bin hier, um Geld zu verdienen wie alle anderen. Wogegen ich mich wende, ist nur der schleimige
    Quatsch von der Bürde des weißen Mannes. Die Pose des Pukka Sahibs. Es ist so öde. Sogar diese verdammten Idioten im Club könnten bessere Gesellschaft sein, wenn wir uns nicht alle immerfort auf diese Lüge einließen.«
    »Aber, mein lieber Freund, welche Lüge?«
    »Nun, natürlich, die Lüge, daß wir hier sind, um unsere armen schwarzen Brüder emporzuheben, statt sie auszurauben.
    Vermutlich ist das eine ganz natürliche Lüge. Aber sie
    korrumpiert uns, sie korrumpiert uns auf eine Weise, die Sie sich gar nicht vorstellen können. Das immerwährende Gefühl,
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    ein Schleicher und Lügner zu sein, quält uns und treibt uns dazu, uns Tag und Nacht zu rechtfertigen. Der Hälfte unserer
    Gemeinheit gegen die Eingeborenen liegt das zugrunde. Wir
    Anglo-Inder könnten fast erträglich sein, wenn wir nur zugeben wollten, daß wir Diebe sind, und weiterstehlen würden ohne den ganzen Schwindel.«
    Der Doktor legte sehr geschmeichelt wieder Daumen und
    Zeigefinger zusammen. »Die Schwäche Ihres Argumentes, mein lieber Freund«, sagte er, über seine eigene Ironie strahlend, »die Schwäche scheint mir zu sein, daß ihr keine Diebe seid.«
    »Also, mein lieber Doktor -«
    Flory setzte sich auf dem Liegestuhl auf, teils weil die
    prickelnde Hitze ihn gerade wie tausend Nadeln im Rücken
    gestochen hatte, teils weil seine Lieblingsdebatte mit dem Doktor jetzt beginnen mußte. Diese Debatte unbestimmter
    politischer Art fand ebenso oft statt, wie die beiden Männer zusammenkamen. Dabei wurden die beiderseitigen Standpunkte auf den Kopf gestellt, denn der Engländer war bitterböse
    antienglisch und der Inder fanatisch loyal. Dr. Veraswami hegte eine leidenschaftliche Bewunderung für die Engländer, die
    tausend schroffe Abweisungen durch die Engländer nicht
    erschüttert hatten. Er behauptete mit unumstößlichem Eifer, daß er als Inder einer niedrigeren und degenerierten Rasse angehöre.
    Sein Glaube an die britische Gerechtigkeit war so groß, daß selbst wenn er im Gefängnis einer Prügelstrafe oder Hinrichtung beiwohnen mußte und mit graubleichem Gesicht nach Hause
    kam, um sich einen Whisky einzuverleiben, seine gläubige
    Begeisterung nicht ins Wanken kam. Florys aufwieglerische
    Ansichten entsetzten ihn, aber sie verschafften ihm auch ein gewisses schauderndes Vergnügen, wie ein frommer Gläubiger empfinden würde, wenn er das Vaterunser rückwärts aufgesagt hört.
    »Mein lieber Doktor«, sagte Flory, »wie können

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