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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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die Sonne unterging. In Indien ist es
    gewissermaßen etwas Böses, einen Tag vergehen zu lassen,
    ohne einmal so richtig geschwitzt zu haben. Man empfindet das als tiefere Sünde als tausend unzüchtige Handlungen. Am
    dunklen Spätnachmittag, nach einem völlig müßigen Tag,
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    steigert sich die Langeweile zu einem wahnsinnigen,
    selbstmörderischen Gipfel. Arbeit, Gebet, Bücher, Trinken, Plaudern - alles ist dagegen machtlos; man kann es nur durch die Poren ausschwitzen.
    Flory ging hinaus und folgte der Straße, die bergauf in den Dschungel führte. Zuerst war es niedriger Busch mit dichtem, verkümmertem Gestrüpp, und die einzigen Bäume waren
    halbwilde Mangobäume, die pflaumengroße, terpentinhaltige
    Früchte trugen. Dann führte die Straße durch höhere Bäume.
    Der Dschungel war zu dieser Jahreszeit ausgetrocknet und
    leblos. Die Bäume säumten die Straße in dichten, verstaubten Reihen mit matt olivgrünem Laub. Keine Vögel waren zu sehen außer ein paar struppigen braunen Geschöpfen, wie ehrlose
    Drosseln, die plump unter den Büschen umherhüpften; in der Ferne schrie ein Vogel › Ah haha! Ah ha ha!‹ - ein einsamer, hohler Ton wie das Echo eines Gelächters. Es roch giftig nach zerquetschten Blättern, ein bißchen wie Efeu. Es war noch
    immer heiß, obwohl die Sonne etwas von ihrer weißen Grelle verloren hatte und schräge gelbe Strahlen warf.
    Nach drei Kilometern endete der Weg an der Furt eines
    seichten Flusses. Wegen des Wassers war der Dschungel hier grüner, und die Bäume waren höher. Am Flußufer stand ein
    riesiger, abgestorbener Pyinkado-Baum mit Girlanden von
    spinnenartigen Orchideen, außerdem ein paar wilde Limonen-
    Büsche mit wachsartigen weißen Blüten. Sie hatten einen
    scharfen Geruch wie Bergamotten. Flory war schnell gegangen, und der Schweiß hatte sein Hemd durchnäßt und tröpfelte ihm brennend in die Augen. Er hatte sich in eine bessere Stimmung hineingeschwitzt. Außerdem pflegte der Anblick dieses Flusses ihn zu ermuntern; das Wasser war ganz klar, ein sehr seltener Anblick in einem sumpfigen Land. Er überquerte den Fluß über die Trittsteine, Flo planschte hinterdrein; dann bog er in einen schmalen Pfad ein, der durchs Gebüsch führte und den er scho n kannte. Es war eine Fährte, die das Vieh getreten hatte, wenn es
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    zum Trinken an den Fluß ging, und Menschenfüße betraten ihn selten. Er führte fünfzig Meter flußaufwärts zu einem Teich.
    Hier wuchs ein Heiliger Bobaum, ein zwei Meter dicker
    abgestützter Stamm, der aus unzähligen Holzsträhnen gewebt war wie ein von einem Riesen gedrehtes hölzernes Kabel. Die Wurzeln dieses Baumes bildeten eine natürliche Höhle, in der das klare, grünliche Wasser gurgelte. Oben und ringsum wehrte das dichte Laubwerk dem Licht und machte den Ort zu einer
    von Laub eingeschlossenen grünen Grotte.
    Flory warf die Kleider ab und stieg ins Wasser. Es war eine Nuance kühler als die Luft und reichte ihm bis zum Hals, wenn er sich setzte. Schwärme von silbrigen Mahseer, nicht größer als Sardinen, schnupperten und knabberten an seinem Körper. Flo hatte sich auch ins Wasser geworfen und schwamm still, wie ein Otter, mit ihren Schwimmfüßen herum. Sie kannte den Teich
    gut, denn sie gingen oft hierher, wenn Flory in Kyauktada war.
    Oben in dem Bobaum erhob sich eine Unruhe und ein
    blubberndes Geräusch wie von kochenden Töpfen. Eine Schar
    grüner Tauben saß dort oben und fraß die Beeren. Flory blickte in die große grüne Wölbung des Baumes hinauf und versuchte, die Vögel zu unterscheiden; sie waren unsichtbar, so
    vollkommen war ihre Farbe dem Laub angepaßt, und doch war
    der ganze Baum von ihnen belebt und schimmerte, als würde er von Vogelgeistern geschüttelt. Flo legte sich auf die Wurzeln und knurrte zu den unsichtbaren Geschöpfen hinauf. Dann
    flatterte eine einzelne grüne Taube herunter und ließ sich auf einem tieferen Ast nieder. Sie wußte nicht, daß sie beobachtet wurde. Sie war ein zartes Wesen, kleiner als eine Haustaube, ihr jadegrüner Rücken war glatt wie Samt, und Hals und Brust
    schillerten in vielen Farben. Ihre Beine waren wie das rosa Wachs, das Zahnärzte verwenden.
    Die Taube schaukelte auf dem Zweig vor und zurück,
    plusterte ihr Brustgefieder auf und legte ihren korallenroten Schnabel darauf. Flory durchfuhr ein stechender Schmerz.
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    Allein, allein, die Bitternis, allein zu sein! So oft war es so, an einsamen Stellen im Wald, daß ihm etwas begegnete - Vogel,

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