Tage in Burma
öffnete den Brief. Er war von Ma Hla May - oder vielmehr, er war für sie geschrieben, und sie hatte ihn mit einem Kreuz unterzeichnet - und verlangte in unbestimmt drohendem Ton fünfzig Rupien.
Flory zog den Jungen beiseite. »Du sprichst englisch? Sag Ma Hla May, ich werde später darauf antworten. Und sag ihr, wenn sie mich zu erpressen versucht, wird sie keinen Pice mehr
bekommen. Hast du verstanden?«
»Ja, Sir.«
»Und jetzt geh. Untersteh dich, mir zu folgen, sonst gibt es Ärger.«
»Ja, Sir.«
»Ein Schreiber, der eine Stellung sucht«, erklärte Flory
Elizabeth, während sie die Stufen hinaufgingen. »Sie belästigen einen immerfort.« Und er überlegte sich, daß der Ton des
Briefes merkwürdig war, denn er hatte nicht erwartet, daß Ma
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Hla May so bald mit ihren Erpressungen anfangen würde; aber er hatte im Augenblick keine Zeit, darüber nachzudenken.
Sie gingen in den Laden, der nach der Helligkeit draußen
dunkel erschien. Li Yeik, der rauchend zwischen seinen
Warenkörben saß - einen Ladentisch gab es nicht -, kam eifrig herbeigehumpelt, als er sah, wer hereingekommen war. Flory gehörte zu seinen Freunden. Er war ein alter Mann mit krummen Knien, in Blau gekleidet, das Haar zu einem Zopf geflochten; sein gelbes Gesicht hatte kein Kinn, man sah nur die
Backenknochen - wie ein wohlwollender Schädel. Er begrüßte Flory mit nasalen Schreien, die Burmanisch sein sollten, und humpelte sofort in den Hintergrund des Ladens, um nach
Erfrischungen zu rufen. Ein kühler, süßlicher Opiumgeruch lag in der Luft. Lange rote Papierstreifen mit schwarzer Schrift waren an die Wände geklebt, und auf der einen Seite stand ein kleiner Altar mit einem Porträt von zwei heiter aussehenden Leuten in gestickten Gewändern, und davor glühten zwei
Weihrauchstäbchen. Zwei Chinesinnen, eine alte und ein
Mädchen, saßen auf einer Matte und rollten Zigaretten aus
Maisstroh und Tabak, der wie kleingehacktes Roßhaar aussah.
Sie trugen schwarzseidene Hosen, und ihre Füße mit
hervorquellendem, geschwollenem Spann waren in rothackige
hölzerne Pantoffeln gezwängt, die nicht größer waren als die einer Puppe. Ein nacktes Kind kroch langsam wie ein großer gelber Frosch am Fußboden herum.
»Sehen Sie sich die Füße von diesen Frauen an!« flüsterte
Elizabeth, sobald Li Yeik ihnen den Rücken gedreht hatte. »Ist das nicht einfach grauenhaft? Was machen sie, daß sie so
werden? Das ist doch bestimmt nicht natürlich?«
»Nein, sie deformieren sie künstlich. In China wird es, glaub ich, abgeschafft, aber hier sind die Leute rückständig. Der Zopf des alten Li Yeik ist auch so ein Anachronismus. Nach
chinesischen Begriffen sind diese kleinen Füße schön.«
»Schön! Sie sind so entsetzlich, daß ich kaum hinsehen kann.
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Diese Leute müssen absolute Wilde sein!«
»O nein! Sie sind hochzivilisiert, meiner Ansicht nach
zivilisierter als wir. Schönheit ist eine Angelegenheit des Geschmackes. In diesem Lande gibt es ein Volk, das sich
Palaungs nennt, dort bewundert man bei Frauen lange Hälse.
Die Mädchen tragen breite Messingringe, um den Hals zu
strecken, und sie legen immer mehr davon an, bis sie schließlich Hälse wie Giraffen haben. Das ist nicht verrückter als Tournüren oder Krinolinen.«
In diesem Augenblick kam Li Yeik mit zwei dicken,
rundgesichtigen burmanischen Mädchen zurück, offensichtlich Schwestern, die kichernd zwischen sich zwei Stühle und eine blaue chinesische Teekanne trugen, die an die zwei Liter Inhalt faßte. Die beiden Mädchen waren Li Yeiks Konkubinen oder
waren es gewesen. Der alte Mann hatte eine Blechdose mit
Schokolade gebracht, hob den Deckel ab und lächelte väterlich, wobei er drei lange, tabakgeschwärzte Zähne entblößte.
Elizabeth setzte sich mit einem sehr unbehaglichen Gefühl hin.
Sie war ganz sicher, daß es gegen die guten Sitten verstieß, die Gastfreundschaft dieser Leute anzunehmen. Das eine
burmanische Mädchen war sofort hinter die Stühle getreten und begann Flory und Elizabeth zu fächeln, während die andere zu ihren Füßen kniete und ihnen Tee eingoß. Elizabeth kam sich sehr töricht vor mit dem Mädchen hinter sich, das ihr den
Nacken fächelte, und vor sich den grinsenden Chinesen. Flory schien sie immer in solche unbehagliche Situationen zu bringen.
Sie nahm ein Stück Schokolade aus der Büchse, die Li Yeik ihr anbot, aber sie konnte sich nicht dazu überwinden, ›danke‹ zu sagen.
»Ist das in
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