Tage in Burma
Ordnung?« flüsterte sie Flory zu.
»In Ordnung?«
»Ich meine, daß wir uns bei diesen Leuten hinsetzen? Ist das nicht irgendwie - irgendwie unwürdig?«
-151-
»Nicht bei einem Chinesen. Sie sind in diesem Lande eine
bevorzugte Rasse. Und sie sind in ihrem Denken sehr
demokratisch. Das beste ist, sie mehr oder weniger als
unseresgleichen zu behandeln.«
»Dieser Tee sieht absolut garstig aus. Er ist ganz grün. Man sollte denken, sie hätten so viel Verstand, Milch hineinzutun, finden Sie nicht?«
»Er ist nicht schlecht. Es ist eine besondere Teesorte, die der alte Li Yeik aus China bekommt. Ich glaube, es sind
Orangenblüten darin.«
»Puh! Er schmeckt genau wie Erde«, sagte sie, nachdem sie gekostet hatte.
Li Yeik stand neben ihnen mit seiner Pfeife, die über einen halben Meter lang war und einen Metallkopf von der Größe
einer Eichel hatte, und beobachtete die Europäer, um zu sehen, ob ihnen sein Tee schmeckte. Das Mädchen hinter dem Stuhl
sagte etwas auf burmanisch, woraufhin beide wieder in Gekicher ausbrachen. Diejenige, die an der Erde kniete, blickte auf und starrte Elizabeth in naiver Bewunderung an. Dann wandte sie sich zu Flory und fragte, ob die englische Dame ein Korsett trage.
»Ch!« sagte Li Yeik empört und stieß das Mädchen mit der
Fußspitze an, um sie zum Schweigen zu bringen.
»Ich möchte sie nicht gern fragen«, sagte Flory.
»Oh, bitte, fragen Sie sie! Wir möchten es so gern wissen!«
Es folgte eine Auseinandersetzung, und das Mädchen hinter
dem Stuhl vergaß zu fächeln und beteiligte sich. Beide, so schien es, hatten sich ihr Leben lang danach gesehnt, ein
véritables Korsett zu sehen. Sie hatten so viele Geschichten darüber gehört: sie waren nach dem Prinzip einer Zwangsjacke aus Stahl gemacht und preßten eine Frau so fest zusammen, daß sie keine Brüste hatte, absolut keine Brüste! Die Mädchen
drückten die Hände zur Illustration an ihre dicken Rippen.
-152-
Würde Flory nicht so freundlich sein, die englische Dame zu fragen? Hinter dem Laden war ein Raum, wo sie mit ihnen
hingehen und sich ausziehen könnte. Sie hatten so darauf
gehofft, ein Korsett zu sehen.
Dann versiegte die Unterhaltung plötzlich. Elizabeth saß steif da und hielt ihr winziges Teetäßchen; sie brachte es nicht über sich, noch einmal zu kosten, und ihr Lächeln war ziemlich
mühsam. Die Stimmung der Orientalen wurde bedrückt; sie
merkten, daß das englische Mädchen, das an ihrer Unterhaltung nicht teilnehmen konnte, sich nicht wohl fühlte. Ihre Eleganz und ihre fremdländische Schönheit, die sie vorhin noch entzückt hatte, begann sie ein bißchen einzuschüchtern. Selbst Flory war sich dieses Gefühls bewußt. Es kam einer jener schrecklichen Momente, die man bei Orientalen hat, wenn jeder den Blick des anderen meidet und vergeblich versucht, irgend etwas zu sagen.
Dann kroch das nackte Kind, das im Hintergrund des Ladens in einigen Körben gekramt hatte, zu den Europäern herüber. Es musterte mit großer Neugier ihre Schuhe und Strümpfe, dann sah es aufblickend ihre weißen Gesichter und wurde von
Schrecken ergriffen. Es stieß einen trostlosen Jammerschrei aus und begann auf den Fußboden zu pissen.
Die alte Chinesin blickte auf, schnalzte mit der Zunge und rollte weiter Zigaretten. Niemand sonst beachtete den Vorgang auch nur im geringsten. Eine Pfütze begann sich auf dem
Fußboden zu bilden. Elizabeth war so entsetzt, daß sie ihre Tasse hastig hinsetzte und den Tee verschüttete. Sie zupfte Flory am Arm.
»Dieses Kind! Sehen Sie doch nur, was es macht! Wirklich,
kann denn nicht jemand - es ist zu schrecklich!«
Einen Augenblick starrten alle sie erstaunt an, dann begriffen alle, worum es ging. Es gab allgemeine Aufregung und
Zungenschnalzen. Niemand hatte auf das Kind geachtet - der Vorfall war zu normal, um bemerkt zu werden -, und jetzt
schämten sich alle entsetzlich. Alle begannen dem Kind
-153-
Vorwürfe zu machen. Es gab Ausrufe wie »Was für ein
schändliches Kind! Was für ein abscheuliches Kind!« Die alte Chinesin trug das noch heulende Kind zur Tür und hielt es über die Stufen, als wränge sie einen Badeschwamm aus. Und im
selben Augenblick - so schien es ihnen - waren Flory und Elizabeth aus dem Laden heraus, und er folgte ihr zurück zur Straße, während Li Yeik und die anderen ihnen bestürzt
nachblickten.
»Wenn das die sogena nnten zivilisierten Leute sind -!« rief sie.
»Es tut mir leid«, sagte er schwächlich. »Ich
Weitere Kostenlose Bücher