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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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sehr
    selbstbeherrschten Ausdruck. Brillen können merkwürdig
    ausdrucksvoll sein - ja fast ausdrucksvoller als Augen.
    Bis jetzt hatte er sie weder verstanden noch ihr Vertrauen ganz gewonnen. Doch wenigstens an der Oberfläche stand es
    zwischen ihnen nicht übel. Er hatte sie manchmal geärgert, aber der gute Eindruck, den er an jenem ersten Morgen gemacht
    hatte, war noch nicht verwischt. Es war seltsam, daß sie sein Muttermal zu dieser Zeit kaum bemerkte. Und es gab einige
    Themen, über die sie ihn gern sprechen hörte. Die Jagd zum Beispiel - sie schien eine Leidenschaft für die Jagd zu haben, die
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    bei einem Mädchen bemerkenswert war. Auch für Pferde; aber da wußte er weniger Bescheid. Er wollte sie später einen Tag mit auf die Jagd nehmen, wenn er die Vorbereitungen treffen konnte. Beide freuten sich mit demselben Eifer auf die
    Expedition, wenn auch nicht aus demselben Grunde.
    XI
    Flory und Elizabeth gingen die Basarstraße entlang. Es war Vormittag, aber die Luft war so heiß, daß man beim Gehen das Gefühl hatte, durch ein glühendes Meer zu gehen. Reihen von Burmanen, die vom Basar kamen, gingen auf scharrenden
    Sandalen vorüber, und Gruppen von Mädchen eilten zu viert
    oder fünft nebeneinander mit kurzen, raschen Schritten dahin, sie schwatzten, und ihr gestriegeltes Haar glänzte. Am
    Straßenrand, kurz bevor man zum Gefängnis kam, lagen die
    Bruchstücke einer steinernen Pagode verstreut, die durch die starken Wurzeln eines Bobaumes gerissen und eingestürzt war.
    Die wütenden geschnitzten Gesichter von Dämonen blickten aus dem Grase auf, wo sie hingefallen waren. In der Nähe hatte ein anderer Bobaum sich um eine Palme gewunden, sie entwurzelt und rückwärts gebogen in einem Ringkampf, der ein Jahrzehnt gedauert hatte. Sie gingen weiter und kamen zum Gefängnis, einem großen, rechteckigen Block, an die zweihundert Meter lang und breit, mit fünfzehn Meter hohen, blanken
    Betonmauern. Ein Pfau, das Haustier des Gefängnisses, trippelte mit einwärts gerichteten
    Zehen die Brüstung entlang. Sechs Sträflinge kamen vorbei, mit gesenkten Köpfen zwei mit Erde beladene, schwere
    Handwagen schleppend, von indischen Aufsehern bewacht. Es waren zu langer Haft verurteilte Häftlinge mit schweren
    Gliedmaßen in Uniformen aus grobem weißem Stoff und
    kleinen Narrenkappen auf ihren kahlgeschorenen Köpfen. Ihre Gesichter waren grau, verschüchtert und merkwürdig
    abgeflacht. Ihre Fußeisen klirrten in einem klaren Ton. Eine
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    Frau mit einem Korb voll Fische auf dem Kopf kam vorbei.
    Zwei Krähen kreisten drum herum und versuchten sich darauf zu stürzen, und die Frau verscheuchte sie mit einer nachlässigen Handbewegung.
    Etwas weiter war Stimmengewirr zu hören. »Der Basar ist
    gleich um die Ecke«, sagte Flory. »Ich glaube, heute ist
    Markttag. Es ist ganz lustig, sich das anzusehen.«
    Er hatte sie gebeten, mit ihm zum Basar zu kommen, sicher
    würde sie es amüsant finden. Sie bogen um die Kurve. Der
    Basar war ein eingezäunter Platz wie ein sehr großes
    Viehgehege mit niedrigen, meist palmblättergedeckten Buden um den Rand herum. In der Einfriedung wimmelte es von
    schreienden und sich drängenden Menschen; das Durcheinander ihrer vielfarbigen Kleidung war wie eine aus einem Krug
    geschüttete hundert- und tausendfache Kaskade. Hinter dem
    Basar konnte man den riesigen, schlammigen Fluß sehen.
    Zweige und lange Streifen von Abschaum rasten mit zehn
    Meilen Stundengeschwindigkeit flußabwärts. Am Ufer
    schaukelte eine Flotte von Sampans mit spitzen,
    schnabelförmigen Bugen, auf die Augen gemalt waren, an ihren Ankerpfosten.
    Flory und Elizabeth blieben einen Augenblick beobachtend
    stehen. Ketten von Frauen kamen vorbei, die auf dem Kopf
    Gemüsekörbe balancierten, und glotzäugige Kinder starrten die Europäer an. Ein alter Chinese im himmelblau verblichenen
    groben Arbeitsanzug eilte vorüber, ein unerkennbares, blutiges Stück Schweinsdarm zärtlich an sich gedrückt.
    »Wollen wir nicht herumgehen und ein bißchen in die Buden
    schauen?« fragte Flory.
    »Empfiehlt es sich, sich unter diese Menge zu mischen? Alles ist so grauenhaft schmutzig.«
    »Ach, das macht nichts, sie werden uns Platz machen. Es wird Sie interessieren.«
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    Elizabeth folgte ihm zögernd und unwillig. Warum mußte er
    sie immer an solche Plätze bringen? Warum schleppte er sie immer und ewig unter die ›Eingeborenen‹ und versuchte, ihr Interesse für sie zu wecken und ihre dreckigen,

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