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Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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die alle seine einstigen Gefährtinnen (wenn sie es sehen könnten) verblüffen würde: der Gezeichnete als vollendeter Kavalier. Auch wenn sie nicht gescheit reden, sind sie seiner Aufmerksamkeit gewiß. Der Gezeichnete behandelt sie in Gesellschaft so, wie sie es von den Männern wünschten, die mit ihnen schlafen.
     
    Lange bevor seine Chancen gänzlich ausfallen (der Gezeichnete unterschätzt sie zuweilen, weil er lächerlich würde, wenn er sich irrt), unterläßt er Werbung auch bei günstigen Voraussetzungen … Er sieht, daß die Tennis-Spielerin, wenn sie ihr Haar aus der Stirne wirft oder nach einem Doppelfehler übermäßig den Kopf schüttelt, bereits für den Zuschauer spielt. Nicht zum ersten Mal schaut er eine Weile zu. Sie gefällt ihm. Einmal wirft er ihr einen Ball über das hohe Netz zurück, um dann seines Weges zu gehen. Im Lift weiß er schon, welchen Etage-Knopf er für sie drücken darf, spricht sie aber nicht an. Sitzt sie abends in der Bar, so setzt er sich weitab; dabei hat er gesehen, was sie liest: das Thema läge auf dem Tisch – der Gezeichnete kennt die langen Gespräche, die zu führen sind, Konversation zwecks Entdeckung gemeinsamer Interessen, er scheut diese langen Gespräche, weil ihn sein eigner Text dabei langweilen wird. Der Gezeichnete schläft lieber einmal mit einer Bar-Dame. (Mittleres Stadium.) Ist er verliebt, so erkennt er sich daran, daß ihm immer noch die Wahl bleibt, er reist ab.
     
    Der Vor-Gezeichnete, wenn seine Werbung ohne Erfolg bleibt, bezieht es sofort auf sein Altern – als wäre er früher, als junger Freier, nie erfolglos gewesen.
     
    Der Vor-Gezeichnete wird ein besserer Liebhaber als früher, weiß, daß es mit körperlicher Leidenschaft nicht getan ist, und ist seinerseits dankbar dafür; das macht ihn zärtlicher …
     
    Im Gegensatz zum Vor-Gezeichneten, der Angst hat vor der endgültigen Entlassung aus der Virilität, weiß der Gezeichnete,daß es diese endgültige Entlassung nicht gibt. Er wäre froh darum …
     
    Junggesellen halten sich etwas länger.
     
    Mitglieder, die sich von handelsüblichen Präparaten erhoffen, daß diese das Altern aufhalten, steigern vor allem ihre Angst vor dem Altern. Das Bett als Ort der Bewährung. Sie bekommen etwas von Strebern.
     
    Entdeckung, daß er sich beim Akt langweilt –
     
    Der Gezeichnete erkennt sich daran, daß ihm Frauen einfallen, die er vor 30 oder noch vor 10 Jahren hätte verführen können; er bereut jetzt jede versäumte Gelegenheit – und es wären viele gewesen, so scheint es ihm; dabei vergißt der Gezeichnete, was ihn in den meisten dieser Fälle verhindert hat: sein Geschmack.
     
    Onanieren mit Erinnerung. (Frühes bis mittleres Stadium.) Er traut sich Eroberungen nicht mehr zu oder sie sind ihm zu mühsam nur schon in der Fantasie.
     
    Wieso dem Gezeichneten vieles mühsam wird (ein Gang durch die Stadt, Einkäufe, Gesellschaft, Bus-Fahrten, das Warten am Flughafen usw.): seine Erscheinung löst keinerlei weibliche Reflexe aus: er ist wie nicht vorhanden … Kommt ihm auf der Straße eine junge Frau entgegen, so tut sie nicht wie früher, als blicke sie handbreit an ihm vorbei, sie sieht den Gezeichneten wirklich nicht. Ohne Koketterie. Er kann sich umdrehen nach ihr, sie merkt es nicht; er sieht es an ihrem Gang, daß sie auch das nicht merkt. Am Kiosk wird er nur als Käufer behandelt; die Person blickt auf die Journale, die er sich genommen hat, und dann auf das Geld. Nichts weiter. Im Flugzeug wird es auch anders; das stereotype Lächeln der Hostessen beginnt ihm zu gefallen, aber nicht einmal das bleibt ihm: erkundigt er sich nach der Ankunftszeit, so werden sie mütterlich, sogar krankenschwesterlich. Gibt es sich in derBahn, daß der Gezeichnete im gleichen Abteil sitzt mit einer jüngern Frau, so entsteht keine Verlegenheit; früher blickten sie krampfhaft zum Fenster hinaus oder versteckten sich hinter ein Magazin, um nicht angesprochen zu werden. Neuerdings sitzen sie einfach da, tun, als wäre nur sein Gepäck hinzugekommen, was nicht stört. Bückt er sich im Bus, weil ihre Handschube auf den Boden gefallen sind, so ist die weibliche Person verblüfft, daß ihr jemand gegenübergesessen hat. Die Kellnerin, wenn sie seine Person endlich wahrgenommen hat, kommt an den Tisch, um den Aschenbecher zu wechseln, nebenbei nimmt sie seine Bestellung auf: blicklos; wenn sie das Bier hinstellt, blickt sie über ihn hinweg; später kassiert sie: blicklos. Der Gezeichnete fragt

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