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Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Titel: Tagebuch aus der Hölle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Thomas
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Stöhnen wurde deutlicher, ansonsten hörte ich nichts. Weder sadistisches Kichern noch das Knurren dieser erbärmlichen Pavian-Teufel. Keinerlei Anzeichen für Prügel oder andere Misshandlungen.
    Ich beschloss, es zu riskieren. Ich wappnete mich für die Möglichkeit, selbst bald dasselbe Stöhnen von mir zu geben, zog so leise wie möglich die Tür auf und lugte in die Kammer dahinter.
    Das Zimmer hatte nur einen Bewohner. Ein Kind, ein Mädchen, das auf dem Boden lag. Nein, der Kopf war im Vergleich zum Rest des Körpers übertrieben groß, selbst für ein Kind. Vielleicht ein Zwerg …
    Ich machte die Tür ganz auf, trat über die Schwelle und hörte, wie die Frau auf dem Boden nach Luft schnappte. Beinahe wäre mir selbst die Luft weggeblieben.
    Uns war beiden sofort klar, dass wir zu den Verdammten gehörten. Sie schrie nicht, sondern sah mich nur angsterfüllt mit glasigen Augen an. Ich schaute sie mit so viel Mitleid an, wie ich meiner vollkommen erschöpften Seele abringen konnte. Der Kopf der Frau war normal groß, aber ihr Körper war so winzig wie der einer Fünfjährigen – einer Fünfjährigen, die völlig ausgemergelt, leichendürr, nackt und verlebt aussah. Da sie nicht mehr die Kraft hatte, sich selbst auf das staubige Bett zu hieven, das im Zimmer stand, hatte sie die Decke zu sich heruntergezogen und sich ein Nest daraus gebaut. Jetzt bedeckte sie ihren Körper mit einem Zipfel, weil sie sich, wie ich annahm, für ihre Missbildung schämte, nicht für ihre Nacktheit.
    »Sie haben mich geerntet«, erklärte sie mit verzerrter Stimme, die nicht viel mehr war als ein dünnes Quietschen, »aber mein Kopf ist von der Klinge abgesprungen, bevor er in den Karren gesaugt werden konnte. Er ist zur Seite gerollt, und man hat mich vergessen. Als mein Körper weit genug nachgewachsen war, habe ich mich hierher geschleppt. Es war furchtbar. Schlimmer, als begraben zu werden. Die Krebse haben versucht, mich aufzufressen, aber ich bin ihnen entkommen.«
    Sie drehte den Kopf. Ich sah, dass eine Seite ihres Gesichts zwar bis auf die Knochen abgenagt worden war, sich aber bereits wieder neue Muskeln und Haut bildeten.
    »Ich habe keine Ahnung, wie ich es überhaupt hier herein geschafft habe, aber ich habe es geschafft.« Sie stieß einen abgehackten, sorgenvollen Seufzer aus. »Mein Körper wächst nach … aber es tut so weh … es sind schlimmere Schmerzen, als ihn zu verlieren …«
    »Ich suche nach etwas zum Anziehen für dich«, flüsterte ich und sah mich im Zimmer um. Im Raum nebenan wurde ich schließlich fündig und kehrte mit einigen Kleidern zu ihr zurück. Ich steckte sie in einen Kissenbezug und legte ihn neben sie. »Möchtest du, dass ich dir dabei helfe, erst mal was anderes anzuziehen?«
    »Nein, im Moment nicht. Ich werde schon noch reinwachsen. Bald. Aber es scheint wirklich ewig zu dauern …«
    Das Zimmer war sehr düster. Es gab keine Fenster, deshalb hatte ich die Tür offen gelassen, damit wenigstens das magere Licht aus dem Flur hereinfiel. Allerdings hatte ich vor, in mein Tagebuch zu schreiben, und wollte mehr Licht, um besser sehen zu können. Ich machte mich also erneut auf die Suche und fand in einem der anderen düsteren Zimmer tatsächlich eine brennende Laterne. Die gelatineartige Flüssigkeit in ihrem Inneren war jedoch kein Öl. Es war überhaupt nichts Entflammbares, sondern gab seinen ganz eigenen kühlen, orangefarbenen Schein von sich, obwohl die Lampe so lange Zeit hier begraben gewesen war. Ich habe keine Ahnung, was dieses schleimige Zeug ist oder wo man es finden kann, aber ich bin dankbar dafür.
    Als ich wieder zu der Frau zurückkehrte, konnte ich die Tür schließen und trotzdem noch genügend sehen, um schreiben zu können. Ich setzte mich neben sie auf den Boden und legte dieses Buch offen auf meinen Schoß. Respektvoll sah die Frau davon ab, mir Fragen zu stellen. Während ich schrieb, entwich ihr jedoch, ohne dass sie es wollte, hin und wieder ein Stöhnen, während ihr Körper allmählich wieder Gestalt annahm, wie ein Embryo, der in erstaunlichem Tempo wächst.

Sechsunddreißigster Tag
    Der Name der Frau ist Caroline. Sie hat in Caldera gewohnt. Ihr Haus ist allerdings komplett begraben, wie sie sagt. Sie war 39, als sie bei einem Amoklauf in einer Abtreibungsklinik erschossen wurde. Sie hatte ihre Schwester begleitet, die eine Abtreibung vornehmen lassen wollte. Sie weiß nicht, ob ihre Schwester auch getötet wurde. Sie geht davon aus, dass ihr Mörder in

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