Tagebuch aus der Hölle (German Edition)
Was, wenn Turner mich beobachtete? Oder andere Dämonen, die Chara gegenüber nicht mehr loyal waren und Angst vor Turners Drohungen hatten? Gleichzeitig sehnte ich mich jedoch so sehr danach, sie wiederzusehen, als seien wir wochenlang getrennt gewesen.
Sollte ich es wagen, stattdessen sie aufzusuchen? Ich hatte Angst, lauernde Feinde zu ihrem Versteck zu führen. Ich wollte ihr sagen, dass Turner herausgefunden hatte, wo ich wohnte, zu mir nach Hause gekommen war und damit gedroht hatte, all ihre dämonischen Artgenossen zu töten. Hegte er nicht schon längst den Verdacht, dass ich mit Chara in Kontakt stand? Und entsprach es daher nicht genau seiner Absicht, dass ich Chara von seinen Drohungen berichtete … in der Hoffnung, sie würde sich opfern, um ihre Kameraden zu schützen?
Ich konnte nicht riskieren, einen Engel oder einen Dämon zu ihr zu führen. Ich musste Geduld haben. Sie hatte mir versichert, dass sie mich irgendwann, irgendwie kontaktieren wird. Ich hoffte nur, dass sie lange genug lebte, um das auch zu tun.
Siebzigster Tag
Auf meinem Weg zur Arbeit heute Morgen wurde ich Opfer eines Drive-by-Shootings … ich wurde von einem der beiden Engel, die auf ihren Motorrädern an mir vorbeidonnerten, von Kugeln durchlöchert. Ganz offensichtlich haben sie die Stadt noch nicht verlassen.
Als ich das Bewusstsein wiedererlangte, während ich auf dem Gehweg aus schwarzen Ziegelsteinen lag und mein Blut durch den Rinnstein in ein Gitter floss, konnte ich meine durchbohrte Brust durch mein zerfetztes, blutgetränktes Hemd sehen. Verdammt. Ich musste zurück nach Hause gehen, es wegwerfen und mir ein frisches anziehen. Ich würde zu spät zur Arbeit kommen, wo mein Gruppenleiter Bruce mir die Hölle heißmachen würde – entschuldigen Sie bitte diesen Kalauer. Aber das Allerschlimmste in jenem Moment war der Schmerz, der mir die Tränen über die Wangen trieb. Ich krümmte mich wie ein Fötus schluchzend auf dem Boden zusammen. Jeder Schluchzer, der mich schüttelte, machte die Schmerzen nur noch schlimmer.
Ich war zu sehr in meine eigenen Qualen versunken und nahm daher nur beiläufig wahr, dass einem etwa neunjährigen Mädchen neben mir beim selben Überfall die komplette Schädeldecke weggeschossen worden war. Es lag nun in den Armen der verdammten Frau, die es wie ihr eigenes Kind bei sich aufgenommen hatte. Die Ersatzmutter weinte zwar nicht, aber der verstörte Ausdruck der ohnmächtigen Wut und des erschöpften Fatalismus auf ihrem Gesicht war mindestens ebenso tragisch. Ich sah, wie die dünnen Beine des Mädchens zuckten und sich verkrampften, als ihre qualvolle Wiederherstellung begann.
Endlich, obwohl ich noch immer Blut aus den größeren Austrittswunden in meinem Rücken verlor – wenigstens würden nach dem Heilungsprozess keine lästigen Kugeln in meinem Körper zurückbleiben –, konnte ich mich zurück in mein Zimmer schleppen. Dort setzte ich mich, bis meine Heilung noch etwas weiter fortgeschritten und die Schmerzen etwas dumpfer geworden waren. Die Eintrittswunden glichen blutlosen, runzligen Kratern, die ich nun mithilfe meiner Finger durch mein sauberes Hemd hindurch abzählte (sechs), während ich zurück hinaus auf die Straße trat und langsam zur Arbeit trottete, in der Hoffnung, dass keine weiteren Engel meinen Weg kreuzten. Als ich die Fabrik schließlich erreichte, wartete Bruce bereits wütend auf mich und wiegte eine Art Schraubenschlüssel mit Zähnen in der Hand, der wirklich furchterregend aussah. Ein solches Werkzeug hatte ich weder zu Lebzeiten noch im Tode je zuvor gesehen.
»Wo, verdammt noch mal, warst du?«, schnaubte er mich mit hochrotem Kopf an. »Ich hab Yolanda geholt, damit sie dein Band übernimmt. Was meinst du? Soll ich sie in Zukunft immer deinen Job machen lassen und dich feuern? Wieso bist du dieses Mal zu spät … hat’s mal wieder geregnet?«
»Beruhig dich«, murmelte ich. So aufgebracht hatte ich ihn noch nie erlebt, und um die Sache noch schlimmer zu machen, starrten bereits einige der anderen Arbeiter zu mir herüber.
»Sag mir nicht, dass ich mich beruhigen soll! Ich sollte dir den Schädel einschlagen!« Er hob das ölige, schwere Werkzeug etwas höher. »Wir müssen die Dinge hier am Laufen halten, verstehst du das?«
»Nein«, blaffte ich ihn an und hob den Blick, um ihm in die Augen zu sehen, »das verstehe ich nicht. Was genau halten wir hier eigentlich am Laufen? Und warum drohst du damit, mir den Schädel einzuschlagen, Bruce? Bist
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