Tagebuch aus der Hölle (German Edition)
du heute als Dämon aufgewacht? Vielleicht solltest du mal in den Spiegel schauen … du bist immer noch ein Mensch. Ein Mensch wie ich. Sind wir denn nicht auf derselben Seite?«
»Welche Seite? Wir haben hier einen Job zu erledigen, und es steht uns nicht zu, nach dem Was und Warum zu fragen. Willst du dich deswegen lieber mit Mr. Gold streiten anstatt mit mir? Er wird allerdings nicht nur damit drohen, dir den Schädel einzuschlagen, er wird dafür sorgen, dass du im tiefsten Keller einer Folterfabrik landest. Und jetzt stell dich an dein Fließband!«
»Ich hab mich in dir getäuscht, Bruce«, sagte ich, während ich mich entfernte. »Du bist doch kein Mensch. Du bist nur ein Möchtegern-Dämon.«
»Noch ein Wort, und ich melde dich Mr. Gold. Mach nur so weiter.« Er grinste mich wütend an.
Ich lächelte nur kurz zurück und trottete dann in Richtung meines Arbeitsplatzes davon. Das war genau der Grund, weshalb die Verdammten niemals hoffen konnten, sich wirklich irgendwann gegen die Dämonen oder Engel zu vereinen: Die Mehrheit hatte einfach zu viel Angst. Und manchmal führte diese Angst dazu, dass sie sich mit ihren Unterdrückern verbündeten. Vergessen Sie die Legenden von Teufelsanbetern, die Satan den Hintern küssen – in der Hölle schieben Leute wie Bruce ihren kompletten Kopf in den kollektiven Arsch der Dämonen.
Aber ich habe von weiteren Streitereien abgesehen, vernünftigerweise. Oder nicht? Ich hatte einfach Angst, es noch weiter zu treiben. Angst davor, was Bruce und Mr. Gold, der allem Anschein nach tatsächlich existiert – es sei denn, Bruce wird auch an der Nase herumgeführt –, dann mit mir machen würden. In ihrer Loyalität gegenüber den Dämonen sind sie in der Tat genau wie die Dämonen selbst. Außerdem war ich zu feige oder auch einfach nur zu niedergeschlagen – wie diese Ersatzmutter, die ihr Adoptivkind ganz fest im Arm hielt –, um meinen Stolz zu verteidigen. In gewisser Weise schmerzte mich diese Demoralisierung mehr als meine Schusswunden. Denn die würden schließlich wieder verschwinden.
Während ich zu Hause sitze und dies schreibe, ist bereits die Tageszeit angebrochen, die ich als Nacht bezeichne, auch wenn andere in der Straße unter meinem Fenster zur Arbeit gehen, so als breche ihr Tag eben erst an. Ich habe noch immer nichts von Chara gehört. Was ich hingegen höre, ist das Rattern von Maschinengewehrfeuer in der Ferne … die Engel sind heute Nacht sehr laut gewesen. Erst dachte ich, es handle sich dabei vielleicht um weitere Angriffe der Rebellen, aber ich habe auch das entfernte Dröhnen von Motorrädern gehört.
Vielleicht lassen sie es noch ein letztes Mal richtig krachen, bevor sie wieder nach oben verschwinden – oder wo immer der Himmel auch liegt. Ihr Paradies aus Disneylands, an das all ihre Städte grenzen. Ich stelle mir reihenweise Wohnmobile aus solidem Gold vor, in denen neongerahmte Porträts des Sohnes hängen, der eine verdächtige Ähnlichkeit mit Elvis aufweist und aus dessen Augen berauschende Strahlen leuchten, die stärker sind als die Whiskey-Brunnen in ihren unzähligen, mit Kunstrasen ausgelegten Parks.
Aber vielleicht sind die Engel auch aufgebracht, regelrecht angeheizt – weil zwei von ihresgleichen von einem arroganten Dämon furchtbar gedemütigt wurden. Und jetzt töten die Verdammten auch noch ihre Peiniger und befreien Gefangene aus Folterzentren. Die ganze Stadt geht den Bach runter.
Und Chara steckt mittendrin. Meine furchteinflößende Eva, die nicht in Ungnade gefallen ist … sondern die Gnade selbst erst entdeckt.
Einundsiebzigster Tag
Heute kam die Schwarze Kathedrale in meine Nachbarschaft. Ein ohrenbetäubendes, quietschendes Kreischen rollte aus der Ferne heran und wurde so laut, dass ich irgendwann ans Fenster trat und zu dem Maschinengebäude hinüberblickte, später aber doch auf die Straße hinausrannte, um es aus der Nähe zu betrachten. Angesichts all der schrecklichen Geräusche, die es im Rahmen seiner diversen unverständlichen Funktionen von sich gab, nahm ich zunächst an, es handle sich um neue, besonders laute Ausstöße. Oder vielleicht sogar um eine furchtbare Fehlfunktion, aufgrund derer das ganze Haus explodieren würde.
Der mechanische Wolkenkratzer war jedoch nicht die Quelle des metallischen Kreischens. Die gegenüberliegende Seite des Maschinengebäudes zeigte auf eine jener breiteren Straßen, auf deren Kopfsteinpflaster Eisenbahnschienen verliefen. Hier sah ich zum allerersten Mal
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