Tagebuch der Apokalypse 02
Systemschwäche, dass das MG auf sich bewegendes Wasser, vom Wind bewegte Äste und fliegende Vögel schoss. Letzteres lag am Unvermögen des Wärmesensors, die aviäre Wärmesignatur nach den Größen und Grenzen der Radarprofile des Systems auszusuchen. Ich las eine Warnung neben diesem Abschnitt, die besagte, dass der Einsatz des Systems bei einer Umgebungslufttemperatur ab 35 Grad Celsius nicht empfohlen ist. Gründe waren nicht angegeben.
Mittlerweile ging die Sonne unter, also stieg Saien (ich gab ihm Deckung) über die Leiter nach unten, um ein bisschen Munition für das MG zu holen, denn wir wollten sehen, wie Option eins sich heute Abend auswirkte. Wenn das Ding Radar plus Wärme für die Zielsuche verwendet, hat die Dunkelheit auf seine Funktionen keine Auswirkung. Ich fand noch eine unheimlich klingende letzte Warnung:
WARNUNG! Die Gatling- Automatik ist ein Prototyp, auf den man sich zu Verteidigungszwecken nicht vorrangig verlassen soll.
Nach der Lektüre legte ich die Gebrauchsanweisung in den Behälter zurück (die Ladeanweisungen waren in gedruckter Form am Deckel angebracht). Saien kam mit zwei Munitionspäckchen aus der Kiste zurück. Wir luden die Waffe und richteten sie nach dorthin aus, wo wir wahrscheinlich bald einen Untoten- Einfall sehen würden: zur Straße.
Ich schaltete das MG ein und lauschte ihr, als sie sich schnurrend an die Umgebung anpasste. Das LPI- Radar machte ein Geräusch, das dem Klicken eines Fotoapparats ähnelte; wahrscheinlich bastelte es sich erst mal eine 3D- Landkarte, um Reichweiten und Höhen zu berechnen. Dann ging das System automatisch in den Schlummerzustand. Das Einzige, was auf Aktivitäten der Waffe hinwies, war eine matt leuchtende grüne LED-Anzeige auf der Rückseite.
Die Sonne war fast untergegangen. Es war an der Zeit, in einer Kaffeedose ein Feuerchen anzuzünden, um ein bisschen Wasser für unsere Trockennahrung zu erhitzen. Saien opferte eine weitere Seite aus dem Buch Meilensteine und setzte sie in der Dose in Brand. Ich setzte mein NSG auf, ging vor dem Feuer übers Dach und schaute über den Rand hinweg zur Straße.
In der Ferne sah ich Bewegungen. Sie waren zwar nur am Rand der Wahrnehmungsfähigkeit des Nachtsichtgeräts zu erkennen, aber es gab sie. Ich konnte auch Infrarotspuren eines kleinen Brandes sehen, vermutlich an der Stelle, an der eins der Flugzeugtriebwerke nach der Bruchlandung liegen geblieben war. Ohne NSG sah man nichts; vielleicht war das Feuer auch auf das Triebwerksinnere begrenzt.
Ich wies Saien leise an, die Waffe um einige Grad nach links zu drehen, damit sie das Gebiet besser im Blick hatte, aus dem meiner Ansicht nach die Bedrohung heranfluten würde. Das Radar kalibrierte sich sofort, als Saien vom System abließ. Das Geschütz machte eine hundertprozentige Kreiselprüfung und verfiel wieder in Schlummerstellung. Ich behielt den Blick auf dem, was ich für eine Bedrohung hielt, sah aber nichts.
Saien füllte meinen Feldflaschenbecher mit etwas Wasser. Ich nahm mein Abendessen ein, wobei ich, das NSG auf die Stirn geschoben, im Schneidersitz auf dem Dach saß.
»Was bringt dir eigentlich die Schreiberei?«, erkundigte Saien sich erneut. »Hilft sie dir bei irgendwas? Entschuldige, dass ich schon wieder frage.«
»Macht nichts, Saien. Ist doch nicht schlimm. Es ist besser, als Selbstgespräche zu führen.«
Da ich eigentlich nicht wusste, was ich sagen oder wie ich seine Frage beantworten sollte, fing ich ganz vorn an und erzählte ihm die Geschichte aus damaliger Sicht und wie für mich alles angefangen hatte. Ich erzählte ihm, dass ich mir vorgenommen hatte, mein Leben zu dokumentieren, weil ich der Meinung gewesen war, es liefe, obwohl ich nochjung an Jahren war, zu schnell an mir vorbei. Das letzte Gespräch mit meiner Großmutter hatte ich letztes Jahr im Urlaub geführt. Sie war vorzeitig gealtert. Ich hatte ihr sehr gern zugehört, wenn sie von früher erzählte. Von ihr hatte ich gehört, dass für ältere Leute die Zeit schneller vergeht; dass man also alles tun sollte, um sie zu verlangsamen.
»Die Zeit hier ist endlich, Junior«, hatte sie gesagt.
Sie wurde alt, und irgendwie kam mir der Gedanke, dass dies vielleicht das letzte Mal war, dass ich sie sah. Wir beendeten unsere Diskussion mit den Erinnerungen an ihre Mutter, meine Urgroßmutter. Ich erzählte Oma, dass ich mich noch an sie erinnerte, als sie in den Achtzigern gewesen war und mir erzählt hatte, sie hätte die Berge zwischen Fort Smith und
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