Tagebuch der Apokalypse 02
in einem Anfall von Nostalgie eingefallen, einen Blick aufmeinen Dienstausweis zu werfen. Er war noch zwei Jahre gültig. Ich stand da, schaute ihn an und rieb mit dem Daumen über den in die Vorderseite eingebetteten Mikrochip. Der Chip enthielt meine Daten sowie jene, die in den Strichkode auf der rechten Kartenseite eingeprägt waren. Auch befand sich dort mein Foto. Ein glattrasiertes, einfältig aus der Wäsche schauendes Abbild meines Ichs, das nie auf die Idee gekommen wäre, die Toten könnten wieder auferstehen.
Wenn die Männer da draußen noch immer Infanteristen der US- Marine waren und die Bekleidungsvorschriften der Militärjustiz einhielten, war ich noch immer Offizier und damit ihr Vorgesetzter. Wenn sich überhaupt noch jemand an die Rangstruktur des Militärs hielt, dann konnte es nur ein Marineinfanterist sein. Bei den in meiner militärischen Vergangenheit selten erfolgten Begegnungen mit Navy-Mannschaftsdienstgraden waren die Männer immer aufgestanden, wenn ich sie angesprochen hatte. Artillerie-Sergeant Handley hatte selbst gesagt, bei ihnen oben sei kein Offizier und er der höchstrangige anwesende Soldat.
Er hat die Unwahrheit gesagt, ohne es zu wissen.
Theoretisch bin ich der höchstrangige anwesende Soldat.
Als ich mit dem Rücken an der Tür stand und die Karte in meiner Hand musterte, griff Dean zu und begutachtete sie. Sie untersuchte den Wehrpass sorgfältig und schaute mich dann an.
»Der sieht Ihnen aber ähnlich, Seemann«, sagte sie.
Ich erwiderte ihr Lächeln. »Ja, das war ich mal.«
>>Sie sind es noch immer«, meinte sie. »Sie haben nur die militärische Steifheit verloren und könnten außerdem eine Rasur gebrauchen.«
Mir kam kurz der Gedanke, sie könnte Recht haben.
Obwohl ich seit Januar ein paar böse Dinge getan hatte, änderte es nichts an der Tatsache, dass es noch immer aktive militärische Einheiten gab und ich noch immer Offizier war. Meine Einheit war vernichtet worden. Vermutlich gab es keine Überlebenden. Das wusste ich. Ich hatte unsere Basis überflogen und es mit eigenen Augen gesehen. Sie war überrannt und später mit Raketen beschossen worden. Das Spiel war aus. Ich war, soweit ich wusste, der einzige Überlebende.
Ich rief die Gruppe zusammen, und wir besprachen mein Vorhaben. Schon bei der Vorstellung sank allen die Kinnlade herab, doch schließlich stimmten alle zu, dass es die einzige Möglichkeit war, mit der Situation fertigzuwerden.
Heute Morgen um 5.00 Uhr wachte ich auf und schaltete das Licht ein. Ich nahm mein Duschzeug und gab mir alle Mühe, mich repräsentabel herzurichten. Als ich an meinem alten Quartier vorbeikam, ging die Tür auf, und Dean kam mit einer Schere heraus, die aus dem Büro des Kontrollzentrums stammte. »Mit dieser Mähne kann ich Sie nicht nach draußen lassen.«
Ich lachte und achtete darauf, dass das um meinen Bauch geschlungene Handtuch nicht zu Boden fiel. »Sie haben wohl Recht, Dean.«
Sie hatte schon Danny, wenn nötig, das Haar geschnitten und meinte, er hätte sich über ihr Können nie beschwert. In den letzten Monaten war mein Haar natürlich gewachsen und laut der militärischen Dienstvorschrift viel zu lang. Ich hatte es zwar vor drei Monaten geschoren, aber seitdem nicht mehr angefasst. Eine solche Mähne war eigentlich nicht mein Stil. Das Ende der Welt mochte zwar eine ausgezeichnete Entschuldigung liefern, aber bei Dean kam ich damit nicht durch. Wie eine gelernte Friseuse richtete sie meinen Kopf so her, dass er den ungeschriebenen Fliegervorschriften entsprach und mein Haar nur eine Winzigkeit länger war als das eines gemeinen Soldaten.
Als ich die Dusche hinter mir gelassen und meine Bartstoppeln glattrasiert hatte, schaute ich in den Spiegel. Für das, was ich vorhatte, sah ich repräsentabel genug aus. Ich hatte zwar keine Ausgehuniform und kein Portepee, aber es würde reichen. Mit dem Handtuch um den Bauch kehrte ich in mein Quartier zurück. Vor der Tür standen meine Stiefel in perfektem Glanz. Davor lag ein Zettel mit Kinderhandschrift: »Hoffentlich gefallen sie Ihnen. Ich habe schon die Stiefel meines Vaters geputzt. Danny.«
Wahrscheinlich hat er sich reingeschlichen und sie gewienert, als ich noch schlief. Ich lasse immer die Tür offen, um hören zu können, was auf dem Gang vor sich geht. Entweder geht allmählich meine Wachsamkeit flöten, oder Danny ist ein sehr leiser Bursche. Ich dachte an den Tag, an dem er auf die Untoten gestrullt hatte. Was für ein komischer
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