Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)
hat, sich an der Staatskasse zu vergreifen und mit 1,5 Tonnen Gold auszureisen, um sich das Leben im Exil zu versüßen?
Andererseits: Die Tunesier stecken in einem Dilemma, die Opposition ist schwach und in Staatsgeschäften unerfahren, und die alte Machtelite ist diskreditiert. Wie formt man da eine akzeptable und funktionstüchtige Regierung bis zu den Wahlen?
Zahlreiche Demonstranten meinen jedenfalls, dass der Wandel in Tunesien bisher nicht weit genug gegangen ist. Sie fordern radikalere Reformen, nicht nur ein paar neue Gesichter im Kabinett. Es darf erwartet werden, dass es am Dienstag mit den Protesten weitergehen wird.
Wie auch immer: Das, was bisher in Tunesien geschehen ist, dient als Vorbild für den Rest der arabischen Welt. Mehrere Männer haben sich am Montag aus Protest gegen ihre Regierung angezündet. Die verzweifelten Taten in Ägypten, Algerien und Mauretanien folgen offenbar dem Muster des jungen Tunesiers Mohammed Bouazizi, der vor einem Monat mit seiner Selbstverbrennung den dortigen Aufstand ausgelöst hat. In Kairo zündete sich der Inhaber einer kleinen Gaststätte vor dem Parlamentsgebäude an.
DiePresse.com, 18.1.2011
„Weg mit den Männern des alten Regimes“
Drei Gewerkschafter traten wieder aus der neuen Regierung aus. Die Demos in Tunis gehen weiter. Immer wieder versammeln sich Grüppchen von Demonstranten, um gegen die Übergangsregierung zu protestieren.
Tunis. „Ich will hier weg“, flüstert mir der Polizist zu, der in voller Kampfmontur an einer Straßenecke der Avenue Bourguiba im Zentrum von Tunis steht. Um ihn ziehen Tränengasschwaden, während ein Mann im grauen Anzug, ein hoher Polizeioffizier, mit zunehmender Ungeduld seine Truppen zu dirigieren sucht. Seit den Morgenstunden versammeln sich immer wieder Grüppchen von Demonstranten, um gegen die Übergangsregierung zu protestieren.
„Weg mit den Männern des alten Regimes“, rufen sie und singen die Nationalhymne. Als der Chef den Knüppeleinsatz befiehlt, zögern manche Polizisten. Ein Offizier schreit sie an, ergreift einen Knüppel und geht mit schlagendem Beispiel voran.
Zwischen Chaos und Neuanfang
Chaotische Szenen in Tunis. Die Demonstranten ziehen sich immer wieder in Nebengassen zurück, um zwei Straßen weiter erneut aufzutauchen. Die Polizei, zu Beginn des Tages noch höflich zu ausländischen Reportern, wird immer patziger. „Nicht filmen“, ruft einer, als Polizeischlägertrupps in Schwarz auf Motorrädern in die Demonstranten fahren und die Knüppel niedersausen lassen. Das Bild passt nicht ins neue Tunesien.
Wobei sich inzwischen jeder fragt, wie das aussieht. Die Demonstranten finden, dass noch zu viele Vertreter des Ben-Ali-Regimes an der Macht säßen. Andere meinen, man müsse der Regierung eine Chance geben, da es nun wichtig sei, das politische Vakuum zu füllen, um Chaos zu vermeiden.
Die am Montag einberufene Übergangsregierung unter Präsident Fouad Mebazaa und Premier Mohammed Ghannouchi indes wackelt, Dienstag zogen sich vier designierte Minister, drei davon Gewerkschafter, zurück. Dann drohten zwei wichtige Oppositionsparteien mit ihrem Ausscheren aus der Koalition: Nämlich die „Ettajdid“ („Erneuerung“, das sind die früheren Kommunisten), sowie das „Demokratische Forum für Arbeit und Freiheiten“ (FDTL). Ihre Forderung: Alle Regierungsmitglieder, die der alten Präsidentenpartei „RCD“ angehören, müssen diese verlassen oder zurücktreten.
Und das geschah in der Nacht auf Mittwoch auch zumindest bezüglich der wichtigsten Personen: Präsident Mebazaa und Premier Ghannouchi gaben ihren Austritt aus der RCD (Rassemblement Constitutionnel Démocratique) bekannt, zudem sei der geflohene Präsident Ben Ali aus der Partei ausgeschlossen worden.
Aber das neue Tunesien wird nicht nur durch ein neues Kabinett geschaffen. Wenige hundert Meter von den Demonstranten in der Avenue Bourguiba entfernt ist die Redaktion der Zeitung Al Shorouk – kein staatliches Blatt, aber eines, das wie alle Blätter zu Zeiten Ben Alis den Diktator täglich feierte. Auf einem Schreibtisch liegen die Ausgaben der Vorwoche. Bis Freitag prangte auf jeder Titelseite das Bild Ben Alis, dann bekommen die Demonstranten den Platz auf Seite eins. „Stabschef General Raschid Amar weigert sich, aufs Volk schießen zu lassen, und erklärt die Ära Ben Ali für beendet“, lautet die Schlagzeile des aktuellen Tages.
Für die Journalisten ist es nicht einfach, sich in dieser Situation neu zu
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