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Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)

Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)

Titel: Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karim El-Gawhary
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alten Herrscher loszuwerden. Die Lektion, die die Diktatoren dort aus dem Zögern Ben Alis und Hosni Mubaraks gelernt haben, ist, mit noch schrankenloserer Brutalität gegen ihre eigenen Völker vorzugehen. Doch je mehr sie das versuchen, desto mehr etabliert sich, mit jeder Beerdigungszeremonie für die im Aufstand Gefallenen, in diesen Ländern eine Kultur des Widerstandes. Das haben die Fälle Libyen, Syrien, Jemen und Bahrain gezeigt. Das Volk hat aus den Beispielen Tunesien und Ägypten gelernt, welche Macht und Möglichkeiten es hat. Die Herrscher ihrerseits hielten noch verzweifelter an ihrer Macht fest, wohl wissend, dass auch sie, wie Mubarak & Co., vor Gericht enden werden, wenn sie nicht vorher umkommen.
    Und dann gibt es noch die dritte Kategorie arabischer Länder, die mit alldem nichts zu tun zu haben scheinen. In Kuwait wurde ein zehnjähriger ägyptischer Junge der Schule verwiesen, nachdem er einfach nur unschuldig gefragt hatte, warum es denn in Kuwait keine Revolution wie in Ägypten gebe. Die Frage des Kindes wurde als so zersetzend angesehen, dass der Junge auf einer schwarzen Liste landete und von keiner kuwaitischen Schule mehr aufgenommen werden sollte. Erst als der Fall in den arabischen Medien zu einem Aufschrei geführt und die ägyptische Botschaft in Kuwait interveniert hatte, wurde der Beschluss zurückgenommen.
    Die Zeit der politischen Monopole ist zu Ende, die der politischen Haftbarkeit beginnt
    Ist die Veränderung der arabischen Welt spätestens seit der Revolution in Ägypten nicht mehr aufzuhalten? Oder lassen sich selbst in Ägypten die Uhren noch einmal zurückdrehen? Natürlich ist man versucht, ein Happy End zu prognostizieren, zu groß war der Enthusiasmus, der die Revolutionen vorangetrieben hat. Man könnte aber auch auf Nummer Sicher gehen und als Ausblick einfach ein paar mögliche Szenarien für die arabische Zukunft skizzieren.
    Szenario eins: Alles wird gut, eine selbstbewusste arabische Welt erlebt einen noch nie dagewesenen Aufschwung, mit einer kreativen Facebook-Revolutionsjugend, die mit ihrem innovativen Denken nicht nur die politischen Grundlagen umwälzt, sondern auch die Gesellschaften öffnet.
    Szenario zwei: Das Militär richtet es sich gemütlich ein und wird vom Westen im Sinne der Stabilität so hofiert wie einst die Diktatoren, die man losgeworden ist.
    Szenario drei: Die Islamisten kidnappen die Revolution. Statt einer offenen Gesellschaft gewinnt das Postulat der Religion die Oberhand über die Politik. Das in der Revolution entstandene politische Vakuum wird mit konservativen Islamvorstellungen und in manchen arabischen Ländern mit altbewährten Stammestraditionen gefüllt.
    Die beste Herangehensweise, um in der arabischen Welt einen Blick nach vorne zu werfen, scheint mir der linke Philosoph Antonio Gramsci in seinen „Gefängnisheften“ formuliert zu haben. „Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens.“
    Um den pessimistischen, sprich kritischen, skeptischen Verstand zu bewahren und doch einen optimistischen Willen zu ermöglichen, kann man versuchen, einige Grundlinien festzuzurren, die für die Zukunft gelten.
    Erstens: Der begonnene Prozess ist unumkehrbar. Sicherlich wird er von Rückschlägen begleitet sein, nach dem Motto zwei Schritte vor, einer zurück. Und natürlich werden die alten Eliten versuchen, mit Zähnen und Klauen das Alte zu verteidigen, oder zumindest so viel wie möglich davon in die neue Zeit hinüberzuretten. Sicher ist: Wir sehen in unserer arabischen Nachbarschaft turbulenten Jahren entgegen.
    Zweitens: Die Revolutionäre sind zwar teilweise ihre Regime losgeworden, aber haben keine unmittelbare Alternative präsentiert. Es gibt kein revolutionäres Projekt, mit dem das politische Vakuum automatisch gefüllt wird. Das Kommende muss nun ausgehandelt werden. Unberechenbar ist wohl das treffendste Adjektiv, um die nähere arabische Zukunft zu beschreiben. Wir werden aller Voraussicht nach eine längere Zeit des Chaos erleben. Der arabische Frühling hat mit dem Sturz der Diktatoren den Höhepunkt seiner Flitterwochen erreicht. Jetzt steht uns die schwierige Geburt einer neuen arabischen Welt bevor.
    Drittens: Die Zeit der politischen Monopole ist vorbei. Es wird keinen allmächtigen Pharao mehr geben und auch keine einzelne politische Gruppierung, die alle

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