Tagebuch Eines Vampirs 01. Im Zwielicht
Ich... ich muß zum Footballtraining.“ Stefan drehte sich zu Matt um, der die Szene mit wachsendem Erstaunen verfolgte. „Du hast gesagt, das ist gleich nach dem Unterricht?“ „Ja“, erwiderte Matt langsam. „Aber...“ „Dann beeile ich mich wohl besser. Vielleicht kannst du mir zeigen, wo das ist.“ Matt schaute hilflos zu Elena und zuckte mit den Schultern. „Klar... komm mit.“ Als sie gingen, warf er noch einen Blick zurück. Stefan nicht. Elena bemerkte, daß sich inzwischen ein Kreis interessierter Zuschauer um sie gebildet hatte. Unter ihnen war auch Caroline, die ihre Schadenfreude nicht verbarg. Elenas Kehle war wie zugeschnürt. Ein taubes Gefühl breitete sich in ihrem Körper aus. Sie würde es nicht ertragen, auch noch eine Sekunde länger dort zu bleiben.
Abrupt drehte sie sich um und ging so schnell sie konnte aus dem Raum.
4. KAPITEL
Als Elena an ihrem Schließfach angekommen war, schwand das taube Gefühl langsam, und der Knoten in ihrer Kehle drohte sich in Tränen aufzulösen. Ich werde in der Schule nicht weinen, sagte sie sich mit zusammengebissenen Zähnen.
Nachdem sie das Schließfach geschlossen hatte, lief sie sofort zum Ausgang. Zum zweiten Mal hintereinander ging sie nach Schulschluß direkt nach Hause, und zwar allein. Tante Judith würde die Welt nicht mehr verstehen. Doch als Elena zu Hause ankam, stand Judiths Wagen nicht in der Auffahrt. Sie war wohl mit Margaret zum Markt gefahren. Das Haus lag still und friedlich da, als Elena aufschloß.
Sie war froh darüber. Im Augenblick wollte sie nur allein sein.
Aber auf der anderen Seite wußte sie nicht, was sie mit sich anfangen sollte. Jetzt, wo sie endlich weinen konnte, wollten die Tränen nicht kommen. Sie ließ ihre Tasche in der Diele fallen und ging langsam ins Wohnzimmer. Es war ein schöner, eindrucksvoller Raum, der einzige außer Elenas Zimmer, der von dem Originalhaus noch übrig geblieben war. Das ursprüngliche Haus war vor 1861 erbaut worden und im Bürgerkrieg fast ganz ausgebrannt. Nur dieses Zimmer mit seinem wunderschönen Kamin und das große Schlafzimmer oben hatte man retten können. Elenas Urgroßvater hatte das Haus wieder aufgebaut, das Generationen der Gilberts seither bewohnt hatten.
Elena wandte sich um und schaute aus einem der vom Boden bis zur Decke reichenden Fenster. Das dicke Glas war so alt und uneben, daß alles, was man dadurch sah, leicht verschwommen wirkte. Sie erinnerte sich daran, wie ihr Vater ihr zum ersten Mal diese Scheibe gezeigt hatte. Damals war sie jünger gewesen als Margaret heute. Elenas Kehle war wieder wie zugeschnürt, doch sie konnte immer noch nicht weinen.
Ihre Gefühle waren ein einziges Durcheinander. Sie wollte keine Gesellschaft und fühlte sich doch schrecklich allein. Sie wollte nachdenken, doch so sehr sie sich bemühte, ihre Gedanken rannten davon wie Mäuse vor einer weißen Eule.
Weiße Eule... Jagdvogel... Fleischfresser... Krähe, dachte sie.
„Die größte Krähe, die ich je gesehen habe“, hatte Matt gesagt.
Ihre Augen brannten wieder. Armer Matt. Sie hatte ihm weh getan, und er war so nett zu ihr gewesen. Er hatte sich sogar Stefan gegenüber freundlich verhalten. Stefan. Ihr Herz machte einen Sprung, und zwei, drei heiße Tränen rannen aus ihren Augen. Endlich weinte sie. Sie weinte aus Wut, Frust, weil sie so gedemütigt worden war - und warum eigentlich noch?
Was hatte sie tatsächlich heute verloren? Was fühlte sie wirklich für diesen Fremden, diesen Stefan Salvatore? Er war eine Herausforderung, und das machte ihn irgendwie anders, irgendwie interessant. Stefan wirkte exotisch und war...
aufregend. Komisch, genau das hatten manche Jungs von ihr behauptet. Und später hatte sie von ihnen oder von ihren Freunden oder Geschwistern gehört, wie nervös sie gewesen waren, bevor sie mit ihr ausgingen. Wie ihre Hände geschwitzt hatten oder der Bauch plötzlich voller Schmetterlinge gewesen war. Elena hatte solche Geschichten immer sehr amüsant gefunden. Noch nie hatte ein Junge sie so aus der Fassung gebracht.
Aber als sie heute mit Stefan gesprochen hatte, hatte ihr Puls gerast, ihre Knie waren weich geworden und ihre Hände naß. In ihrem Bauch hatten keine Schmetterlinge getobt, sondern ausgewachsene Fledermäuse. Interessierte sie sich für den Jungen, weil er sie ganz kribbelig machte? Kein sehr guter Grund, Elena, sagte sie sich selbst. Im Grunde sogar ein ganz schlechter.
Doch da war noch sein Mund. Dieser sinnliche Mund, der
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