Tagebuch Eines Vampirs 01. Im Zwielicht
Es machte ihr nichts aus, wenn sie wußten, daß sie geweint hatte. Sie nahm das zerknüllte Taschentuch, das Bonnie ihr wortlos anbot, und wischte sich die Augen. Die drei blieben eine kurze Weile schweigend zusammen sitzen und beobachteten den Wind, der in den Blättern der alten Eichen am Rand des Friedhofs raschelte. „Was passiert ist, tut mir leid“, sagte Bonnie schließlich leise. „Das war wirklich schrecklich.“ „Schon mal was von Taktgefühl gehört, Bonnie?“
schalt Meredith sie. „Aber so schlimm kann's doch nicht gewesen sein, Elena. “ „Du warst nicht dabei.“ Elena fühlte, wie ihr nur schon bei der Erinnerung am ganzen Körper heiß wurde. „Es war entsetzlich. Aber das ist mir schnurzegal“, fügte sie heftig hinzu. „Ich bin fertig mit ihm. Ich will ihn sowieso nicht.“ „Elena! „ „Ehrlich, Bonnie. Er denkt anscheinend, er sei zu gut für... für uns Amerikaner. Also kann er seine Designer-Sonnenbrille nehmen und sie sich sonstwohin stecken.“ Die beiden anderen Mädchen lachten.
Elena putzte sich die Nase und schüttelte den Kopf. „Nun“, wandte sie sich an Bonnie und änderte entschlossen das Thema, „zumindest schien Tanner heute bessere Laune zu haben.“ Bonnie machte ein gequältes Gesicht. „Weißt du, daß ich die erste sein werde, die einen Vortrag halten muß?
Eigentlich ist es
mir ja egal. Ich werde über die Druiden sprechen und...“ „Über was?“ „D-r-u-i-d-e-n“, buchstabierte Bonnie. „Das waren die alten Knaben, die den magischen Steinkreis von Stonehenge errichtet haben. Die konnten zaubern und solche Sachen. Die haben im vorchristlichen England gelebt. Ich stamme von ihnen ab, und deshalb bin ich auch ein Medium.“ Meredith schnaubte verächtlich, aber Elena betrachtete mit gerunzelter Stirn den Grashalm, den sie zwischen ihren Fingern hin- und herdrehte. „Bonnie, hast du gestern tatsächlich etwas in meiner Hand gelesen?“ fragte sie plötzlich. Bonnie zögerte.
„Ich weiß nicht“, erklärte sie schließlich. „Ich... ich dachte es zumindest. Aber manchmal geht meine Phantasie mit mir durch.“ „Sie wußte, wo du bist“, warf Meredith ein. „Ich wollte im Café nach dir suchen, aber Bonnie sagte „sie ist auf dem Friedhof.“ „Hab ich das?“ Bonnie sah etwas überrascht aus.
„Nun, da ist der Beweis. Meine Großmutter in Edinburgh hat das zweite Gesicht und ich auch. Die Gabe überschlägt immer eine Generation.“ „Und du stammst von den Druiden ab“, fügte Meredith feierlich hinzu. „Das stimmt! In Schottland achten sie die alten Bräuche. Ihr würdet nicht glauben, was für Sachen meine Großmutter macht. Sie kann herausfinden, wen du heiraten wirst, und dein Todesdatum. Sie hat vorausgesagt, daß ich früh sterben werde.“ „Bonnie!“ „Hat sie! Ich werde wunderschön und jung in meinem Sarg liegen. Findet ihr das nicht romantisch?“ „Nein, ich finde das abstoßend“, sagte Elena heftig. Die Schatten waren länger geworden und der Wind plötzlich kalt. „Wen wirst du denn heiraten, Bonnie?“ lenkte Meredith ab. „Das weiß ich nicht. Meine Großmutter hat mir zwar verraten, wie man es herausfindet, aber ich hab's noch nicht ausprobiert. Natürlich...“ Bonnie nahm eine hochmütige Pose ein,...muß er sehr, sehr reich sein und total super. Wie unser dunkler, geheimnisvoller Fremder. Wenn ihn sonst schon keiner will...“ Sie warf Elena einen vielsagenden Blick zu.
„Elena?“ Doch die weigerte sich, darauf einzugehen. „Was ist mit Tyler Smallwood?“ erwiderte sie unschuldig. „Sein Vater ist doch wohl reich genug.“ „Und Tyler sieht nicht schlecht aus“, stimmte Meredith zu. „Natürlich nur, wenn man auf Steinzeitmenschen steht.“ Die Mädchen sahen sich an und brachen gleichzeitig in Lachen aus. Bonnie warf eine Handvoll Gras auf Meredith, die es locker abbürstete und sich mit Löwenzahn revanchierte. Irgendwann mitten in dem freundlichen Gerangel spürte Elena, daß sie wieder okay war.
Sie war wieder sie selbst, nicht verloren, keine Fremde, sondern Elena Gilbert, die Königin der Robert E. Lee High School. Sie nahm das apricotfarbene Band aus ihrem Haar und schüttelte ihre Mähne. „Ich hab das Thema für meinen Vortrag“, verkündete sie und sah zu, wie Bonnie sich mit den Fingern das Gras aus ihren Locken kämmte. „Was?“ fragte Meredith. Elena hob das Kinn und betrachtete den rotviolett gefärbten Himmel über dem Hügel. Sie seufzte gedankenvoll und steigerte die Spannung
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