Tagebuch Eines Vampirs 01. Im Zwielicht
zurückfallen. Jetzt konnte sie die hölzernen Planken des Fußwegs über den Fluß erkennen. Die Brücke war zwanzig Meter weg, zehn, fünf. „Wir haben's geschafft“, keuchte Meredith, als ihre Füße das Holz berührten. „Nicht stehenbleiben! Auf die andere Seite!“ Die alte Brücke knarrte, als sie hinüberrannten. Ihre Schritte hallten unheimlich auf dem Wasser wider. Erst als Elena auf dem lehmigen Pfad auf der anderen Seite angekommen war, ließ sie Bonnies Ärmel los und blieb halb stolpernd vor Schwäche stehen. Meredith beugte sich nach vorn, die Hände auf die Schenkel gestützt, und atmete tief ein und aus. Bonnie weinte. „Was war das? Um Himmels willen, was war das?“ wiederholte sie. „Kommt es immer noch hinter uns her?“ „Ich dachte, du wärst die Expertin“, sagte Meredith mit unsicherer Stimme. „Mensch, Elena. Schauen wir, daß wir so schnell wie möglich hier wegkommen.“ „Nein, jetzt ist alles wieder in Ordnung“, flüsterte Elena. Auch in ihren Augen standen Tränen, und sie zitterte am ganzen Körper. Aber der heiße Atem, den sie in ihrem Nacken gespürt hatte, war verschwunden. Der Fluß erstreckte sich zwischen ihr und dem geheimnisvollen Wesen.
Seine dunklen Wasser waren aufgewühlt. „Es kann uns nicht hierher folgen.“ Meredith starrte erst sie an, dann die andere Seite mit den dicht stehenden Eichen und schließlich Bonnie.
Sie benetzte sich die Lippen und lachte kurz auf. „Klar. Es kann uns hierher nicht folgen. Aber laßt uns trotzdem nach Hause gehen, okay? Es sei denn, ihr zwei wollt die Nacht hier draußen verbringen.“ Elena überlief ein unerklärlicher Schauder. „Nein, danke.“ Sie legte den Arm um Bonnie, die immer noch leise schniefte. „Es ist alles wieder gut, Bonnie. Wir sind jetzt in Sicherheit. Komm mit.“ Merediths Blick schweifte wieder zur anderen Seite des Flusses. „Ich sehe da drüben gar nichts“, sagte sie, ruhiger geworden.
„Vielleicht sind wir überhaupt nicht verfolgt worden und nur in Panik geraten, weil wir uns selbst bange gemacht haben.
Zugegebenermaßen mit ein bißchen Hilfe unserer Druidenpriesterin hier.“ Elena schwieg, als sie eng beieinander den Lehmpfad hinuntergingen. Aber sie machte sich so ihre Gedanken.
5. KAPITEL
Der Vollmond stand direkt über der kleinen Pension, als Stefan nach Hause kam. Er fühlte sich aufgekratzt und schwindlig, fast taumelte er, sowohl vor Müdigkeit als auch vor Übersättigung von dem Blut, das er getrunken hatte. Es war schon lange her, daß er sich erlaubt hatte, soviel Nahrung zu sich zu nehmen. Aber der Ausbruch der rohen Urgewalt auf dem Friedhof hatte ihn in Raserei versetzt und die ohnehin schon geschwächte Kontrolle über seinen Hunger mit einem Schlag zerstört.
Er war sich immer noch nicht sicher, wie diese mysteriöse Kraft so plötzlich entstanden war. Aus den Schatten heraus hatte er die drei Mädchen beobachtet, als plötzlich hinter ihm die Luft förmlich explodiert war und die Mädchen in wilder Panik flohen. Er war hin- und hergerissen zwischen seiner Angst, sie könnten sich kopflos in den Fluß stürzen, und dem Verlangen, sein übersinnliches Talent zu nutzen, um den Ursprung des elementaren Ausbruchs festzustellen: Am Ende war er diesem Mädchen gefolgt. Er konnte nicht zulassen, daß ihr etwas geschah.
Ein schwarzer Schatten war auf den Wald zugeflogen, als die Mädchen die rettende Brücke erreicht hatten. Aber selbst Stefans empfindliches Nachtgespür hatte nicht feststellen können, was es war. Er hatte zugeschaut, wie sie und die beiden anderen in Richtung Stadt gegangen waren. Dann erst war er zum Friedhof zurückgekehrt. Der Ort lag jetzt einsam und verlassen im Mondlicht da, frei von dem, was immer auch vorher dort gewesen war. Auf dem Boden fand Stefan ein Stückchen Seide, das für normale Augen in der Dunkelheit grau ausgesehen hätte. Aber er erkannte die echte Farbe, und als er es langsam an seine Lippen hob, konnte er den Duft ihrer Haare riechen.
Die Erinnerung überwältigte ihn fast. Es war schlimm genug.
wenn sie nicht da war, wenn die kühle Aura ihres Geistes sich nur neckend am Rand seines Unterbewußtseins aufhielt. Aber in der Schule im selben Raum mit ihr zu sitzen, sich ihrer Anwesenheit in jeder Sekunde bewußt zu sein, den Duft ihrer Haut zu riechen, das war fast mehr, als er ertragen konnte. Er dachte zurück an den vergangenen Tag .
Stefan hörte jeden leisen Atemzug, den sie machte, fühlte ihre Wärme in seinem Rücken,
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