Tagebuch Eines Vampirs 01. Im Zwielicht
„Eine deutsche Taschenuhr. Spätes fünfzehntes Jahrhundert“, erklärte er abwesend. „Elena...“ Sie griff nach einer kleinen Eisenkiste, deren Deckel mit einem Scharniergelenk versehen war. „Kann man die öffnen?“ „Nein.“ Er hatte die Reflexe einer Katze. Seine Hand schlug auf die Kiste und hielt den Deckel fest. „Das ist privat.“ Der Streß in seiner Stimme war deutlich hörbar.
Elena bemerkte, daß er nur den Deckel berührte und nicht ihre Hand. Sie hob die Finger, und er zog sich sofort zurück.
Plötzlich war ihre Wut zu groß, um sie noch länger zu unterdrücken. „Vorsicht“, zischte sie. „Faß mich bloß nicht an, sonst könntest du dir eine Krankheit holen.“ Er wandte sich wieder dem Fenster zu. Doch selbst, während sie zur Mitte des Zimmers zurückging, spürte sie, wie er ihr Spiegelbild in der Scheibe beobachtete. Plötzlich wußte sie, wie sie für ihn aussehen mußte, in dem zu großen Mantel, den sie vorn mit einer Hand zusammenhielt, und dem wilden blonden Haar, das offen über den nachtschwarzen Samt fiel. Wie eine Prinzessin, die unter die Räuber gefallen war und jetzt rachedurstig in ihrem Turm herumwanderte. Sie legte den Kopf weit zurück, um die Falltür in der Treppe zu betrachten, und hörte ein leises Aufseufzen. Als sie sich umwandte, war sein Blick auf ihren nackten Hals gerichtet. Der Blick in seinen Augen verwirrte sie.
Aber im nächsten Moment verhärteten sich seine Züge, und er schloß sie wieder aus. „Ich glaube, ich bringe dich jetzt besser nach Hause“, sagte er. In diesem Augenblick wollte sie nur noch eins, ihn verletzen. Er sollte sich genauso elend fühlen wie sie. Aber sie wollte auch die Wahrheit. Sie war dieses Spiel leid. Sie war es müde, sich etwas auszudenken, zu planen und zu versuchen, Stefan Salvatores Gedanken zu lesen. Es war beängstigend und gleichzeitig herrlich befreiend, als sie sich die Worte sagen hörte, die sie so lange schon beschäftigt hatten. „Warum haßt du mich?“ Er starrte sie an. Einen Moment lang schien er sprachlos. „Ich hasse dich nicht“, antwortete er schließlich. „Doch“, erwiderte Elena. „Ich weiß, es ist nicht gerade... höflich, so was jemandem ins Gesicht zu sagen, aber das ist mir jetzt egal. Ich weiß, daß ich dir dankbar sein sollte, weil du mir das Leben gerettet hast, auch das ist mir egal. Ich hab dich schließlich nicht darum gebeten. Eigentlich weiß ich gar nicht, warum du überhaupt auf dem Friedhof warst. Und mir ist völlig schleierhaft, aus welchem Grund du es getan hast, wenn deine Gefühle für mich so sind.“ Er schüttelte den Kopf, aber seine Stimme war sanft. „Ich hasse dich nicht.“ „Von Anfang an hast du mich gemieden, als wäre ich... eine Aussätzige. Ich wollte freundlich zu dir sein, aber was war der Dank dafür? Benimmt sich so ein Gentleman, wenn jemand ihn willkommen heißen will?“ Er wollte jetzt etwas sagen, aber Elena überrumpelte ihn einfach: „Du hast mich mehrmals vor der ganzen Meute bloßgestellt, du hast mich in der Schule gedemütigt. Du würdest auch jetzt nicht mit mir sprechen, wenn es nicht um Leben und Tod gegangen wäre. Muß man so weit gehen, um dir ein Wort zu entlocken? Muß man sich fast umbringen lassen? Und selbst jetzt meidest du meine Nähe“, fuhr sie bitter fort. „Was ist los mit dir, Stefan Salvatore, daß du ein solches Leben führen mußt? Daß du Mauern um dich errichten mußt, damit die anderen nur ja draußen bleiben? Daß du niemandem trauen kannst? Was stimmt nicht mit dir?“ Er schwieg jetzt mit abgewandtem Gesicht. Sie holte tief Luft, richtete die Schultern auf und hielt den Kopf hoch, obwohl in ihren Augen Tränen brannten. „Und was stimmt nicht mit mir“, fügte sie leiser hinzu, „daß du mich nicht einmal ansehen willst, aber zuläßt, daß Caroline Forbes praktisch über dich herfällt? Zumindest habe ich ein Recht, es zu erfahren. Danach werde ich dich nie wieder belästigen. Ich werde dich sogar in der Schule nicht mehr ansprechen, aber ich will die Wahrheit wissen, bevor ich gehe. Warum haßt du mich so sehr, Stefan?“
Er drehte sich langsam um und hob den Kopf. Sein Blick war leer, und Elena wurde wider Willen von der Qual berührt, die seine Züge überschattete. Er hatte seine Stimme gerade noch unter Kontrolle. Sie konnte hören, wieviel Mühe ihn das kostete. „Ja“, begann er. „Ich glaube, du hast ein Recht, es zu erfahren, Elena.“ Er sah ihr in die Augen, und sie dachte: So schlimm?
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