Tagebuch Eines Vampirs 01. Im Zwielicht
das Gesicht. Der Fremde aus der Turnhalle! „Du?“ fragte sie erstaunt. „Was, zum Teufel, machst du hier?“ Sie schaute von ihm zu den Verandatüren, die tatsächlich offen waren. Man konnte die dahinterliegende Wiese sehen. „Kommst du immer uneingeladen in das Haus fremder Leute?“ „Aber du hast mich doch eingeladen.“ Seine Stimme war so, wie sie sie in Erinnerung hatte, ruhig, spöttisch und amüsiert. Sie erinnerte sich auch an sein Lächeln. „Danke“ , fügte er hinzu und setzte sich geschmeidig auf den Stuhl, den sie hervorgezogen hatte.
Elena riß die Hand von der Stuhllehne zurück. „Dich hab ich nicht eingeladen“, stammelte sie, hilflos zwischen Wut und Verlegenheit hin- und hergerissen. „Wieso treibst du dich vor Bonnies Haus herum?“ Er lächelte. Sein schwarzes Haar sah im Kerzenschein fast flüssig aus, zu weich und fein für menschliches Haar. Seine Gesichtszüge waren schneeweiß, doch gleichzeitig von unwiderstehlichem Charme. Er blickte ihr geradewegs in die Augen. „Helena, du bist schön wie die graziösen Barken, die im lauen Abendwind über das parfümierte Meer...“ „Ich glaube, du gehst jetzt besser.“ Sie wollte ihm nicht länger zuhören. Seine Stimme hatte eine seltsame Wirkung auf sie. Ihr Klang machte sie schwach. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Körper aus. „Du solltest nicht hier sein. Bitte.“ Sie wollte die Kerze nehmen und ihn verlassen, wollte sich gegen den süßen Schwindel wehren, der sie zu überwältigen drohte. Bevor sie die Kerze erreichen konnte, tat er etwas Ungewöhnliches. Er nahm ihre ausgestreckte Hand mit sanfter Geste und hielt sie zwischen seinen kühlen, feingliedrigen Fingern. Dann drehte er sie um und küßte ihre Handfläche. „Nicht...“flüsterte Elena total überrascht. „Komm mit mir“, sagte er und schaute ihr in die Augen. „Bitte nicht.“ Alles um sie her drehte sich. Er war verrückt. Wovon redete er? Wohin sollte sie mit ihm gehen?
Aber sie fühlte sich gleichzeitig so schwindlig, so köstlich schwach. Er stützte sie. Sie lehnte sich gegen ihn und fühlte, wie seine Finger den obersten Knopf ihrer Bluse öffneten.
„Bitte, nicht...“ „Ruhig. Es ist alles gut. Du wirst sehen.“ Er zog den Stoff von ihrem Hals fort und legte eine Hand hinter ihren Kopf. „Nein!“ Plötzlich kehrte ihre Kraft zurück. Sie riß sich von ihm los und stolperte gegen den Stuhl. „Ich hab dir gesagt, du sollst gehen, und das meine ich auch. Raus hier... und zwar sofort!“ Einen Moment blitzten seine Augen vor mörderischer Wut. Doch dann würde sein Blick wieder ruhig, und er lächelte kurz. „Ich werde gehen“, sagte er. „Doch nicht für immer.“
Elena schüttelte den Kopf und sah ihm nach, wie er durch die Verandatüren verschwand. Als sie sich hinter ihm geschlossen hatten, stand sie schweigend da und versuchte wieder normal zu atmen.
Diese Stille. Es konnte doch nicht so ruhig sein. Sie drehte sich zu der alten Standuhr um und erkannte, daß sie stehen geblieben war. Bevor sie die Uhr näher untersuchen konnte, hörte sie Bonnies und Merediths erregte Stimmen. Elena eilte auf den Flur. Ihre Beine trugen sie immer noch nicht ganz. Sie zog ungeduldig die Bluse am Hals hoch und knöpfte sie zu. Die Hintertür stand offen. Sie konnte zwei Gestalten sehen, die sich über etwas auf der Wiese beugten.
„Bonnie? Meredith? Was ist passiert?“ Bonnie schaute hoch, als Elena herankam. Tränen standen in ihren Augen. „Oh, Elena. Er ist tot.“ Entsetzt blickte Elena auf das kleine Bündel zu Bonnies Füßen. Es war der Pekinese. Er lag ganz steif auf der Seite.
Seine Augen waren offen. „Bonnie, es tut mir leid.“ „Er war schon alt“, schniefte Bonnie. „Aber irgendwie hab ich nie gedacht, daß er so schnell sterben würde. Noch vor kurzer Zeit hat er wie verrückt gebellt. „Ich glaube, wir gehen besser rein“, schlug Meredith vor. Elena sah sie an und nickte. In einer Nacht wie dieser hielt man sich besser nicht draußen in der Dunkelheit auf. Und es war, auch keine Nacht, um fremde Wesen einzuladen. Das wußte Elena jetzt, obwohl sie noch immer nicht verstand, was geschehen war. Erst als sie wieder ins Wohnzimmer traten, fiel ihr auf, daß ihr Tagebuch verschwunden war.
Stefan hob den Kopf, den er über den samtweichen Hals eines Rehs gebeugt hatte. Die Wälder waren von nächtlichen Geräuschen erfüllt, und er war sich nicht sicher, was ihn gestört hatte. Als seine besonderen Kräfte abgelenkt wurden,
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