Tagebuch Eines Vampirs 02. Bei Dämmerung
ermahnte sie sich und versuchte die schnell aufsteigende Panik zu verdrängen. Wenn er nun tot war? Wenn sie ihn nicht mehr retten konnte? Sie sah sich im Zimmer um.
Ihr Blick fiel auf die zerbrochene Scheibe. Glasscherben lagen auf dem Boden. Sie ging hinüber und hob eine auf. Schön anzusehen, doch scharf wie ein Rasiermesser, dachte sie.
Dann biß sie die Zähne zusammen und schnitt sich damit in den Finger.
Der Schmerz ließ sie leise aufstöhnen. Nach einem kurzen Moment drang Blut aus dem Schnitt und lief ihren Finger hinunter. Schnell kniete sie sich neben Stefan und hielt ihm den Finger an die Lippen. Mit der anderen Hand nahm sie seine leblosen Finger und fühlte unter ihrem Griff den harten Silberring, den er trug. Bewegungslos wie ein Statue blieb sie neben ihm knien und wartete. Fast hätte sie seine erste, kaum wahrnehmbare Reaktion verpaßt. Ihr Blick war auf sein Gesicht gerichtet. Das sachte Heben und Senken seiner Brust nahm sie nur aus dem Augenwinkel wahr. Doch dann zitterten die Lippen unter ihrem Finger, öffneten sich leicht, und er begann reflexartig zu schlucken.
„Das ist es“, flüsterte Elena. „Komm, Stefan.“ Seine Wimpern zuckten. Mit aufsteigender Freude fühlte sie, wie er den Druck ihrer Hand erwiderte. Er schluckte wieder. „Ja.“ Sie wartete, bis seine Augen erst blinzelten und sich dann langsam öffneten, bevor sie sich zurücksetzte. Dann griff sie mit einer Hand zum Rollkragen ihres Pullover und schlug ihn zurück. Der Blick seiner grünen Augen war benommen und schläfrig. Und doch sturer, als sie es je erlebt hatte. „Nein“, flüsterte er heiser. „Du mußt, Stefan. Die anderen kommen gleich zurück und bringen eine Krankenschwester mit. Und wenn du nicht gut genug auf den Beinen bist, um sie zu überzeugen, daß du nicht ins Krankenhaus mußt...“ Sie beendete den Satz nicht. Sie hatte keine Ahnung, was ein Arzt oder Krankenhauslabor über Stefan herausfinden konnte. Aber ihr war klar, daß er es wußte und daß
es ihm angst machte.
es ihm angst machte. Aber Stefan wurde nur noch sturer und wandte den Kopf ab. „Geht nicht“, flüsterte er unter Anstrengung. „Zu gefährlich. Habe... schon... zuviel genommen... letzte Nacht.“ War das wirklich erst letzte Nacht gewesen? Es schien ein Jahr her zu sein. „Wird es mich umbringen?“ fragte sie. „Stefan, antworte mir! Wird es mich umbringen?“ „Nein... aber...“ „Dann müssen wir es tun. Streite nicht mit mir!“ Sich über ihn beugend, seine Hand in der ihren, spürte sie seine übergroße Not. Sie war erstaunt, daß er überhaupt versuchte zu widerstehen. Er kam ihr vor wie jemand, der dem Hungertod nahe war und vor einer übervollen Tafel stand. Unfähig, den Blick von den dampfenden Speisen abzuwenden, weigerte er sich dennoch zu essen. „Nein“, sagte er wieder. Elena war nahe daran zu verzweifeln. Stefan war der einzige, den sie kannte, der genauso stur war wie sie. „Doch.
Und wenn du nicht mitmachst, werde ich mir noch etwas anderes aufschneiden. Das Handgelenk, zum Beispiel.“ Sie hatte den Finger in die Laken gepreßt, um den Blutfluß zu stoppen. Jetzt hielt sie ihn hoch. Seine Pupillen erweiterten sich, und seine Lippen öffneten sich. „Schon... zuviel“, murmelte er. Aber sein Blick blieb auf den hellroten Blutstropfen an Elenas Fingerspitze gerichtet. „Und ich... kann mich nicht kontrollieren...“ „Ist schon gut“, flüsterte sie. Sie zog den Finger wieder über seine Lippen, fühlte, wie sie sich öffneten. Dann lehnte sie sich über ihn und schloß die Augen.
Sein Mund war kühl und trocken, als er ihren Hals berührte.
Seine Hand stützte ihren Nacken, während seine Lippen die beiden kleinen Wunden suchten, die schon dort waren. Elena zwang sich, nicht vor dem kurzen, scharfen Schmerz zurückzuzucken. Dann lächelte sie. Vorher hatte sie seine große Not gespürt, seinen schrecklichen Hunger. Jetzt erlebte sie durch das Band, das sie miteinander verband, seine helle Freude und die Befriedigung. Tiefe Befriedigung, während der Hunger langsam gestillt wurde. Ihre Freude kam vom Geben, von dem Wissen, daß sie Stefan mit ihrem eigenen Leben half.
Sie konnte spüren, wie seine Kraft wiederkehrte. Nach und nach ließ seine Not nach. Aber er war noch lange nicht gesättigt, und Elena konnte es nicht verstehen, als Stefan versuchte, sie wegzustoßen. „Das ist genug“, keuchte er und zwang sie, sich aufzurichten. Elena öffnete die Augen. Das wohlige, traumhafte
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