Tagebuch Eines Vampirs 02. Bei Dämmerung
würde herkommen, um den Lohn für seine geleistete Gefälligkeit zu kassieren. Elena wußte genau, daß seine letzten Worte so gemeint gewesen waren. Und das bedeutete, sie mußte Stefan alles beichten, denn sie brauchte ihn heute nacht. Sie brauchte seinen Schutz. Doch was konnte Stefan überhaupt tun? Trotz all ihrer Bitten und Einwände hatte er sich geweigert, letzte Woche ihr Blut zu trinken. Er hatte darauf bestanden, daß seine übernatürlichen Kräfte auch so zurückkehren würden. Aber Elena wußte, daß er noch sehr verletzlich war. Selbst wenn Stefan hier wäre, was könnte er ausrichten, um Damon aufzuhalten? Konnte er überhaupt etwas tun, ohne selbst getötet zu werden?
Bonnies Haus bot keine Zuflucht. Und Meredith war verreist. Es gab niemanden, der ihr helfen, niemanden, dem sie vertrauen konnte. Aber der Gedanke, hier allein zu warten und zu wissen, daß Damon kommen würde, war ihr unerträglich. Sie hörte, wie Tante Judith den Hörer auflegte.
Automatisch ging sie in Richtung Küche, Stefans Telefonnummer im Kopf. Dann hielt sie inne, drehte sich langsam um und warf einen Blick in das Wohnzimmer, das sie gerade verlassen hatte. Ihr Schlafzimmer lag genau darüber. Es waren die beiden einzigen Räume des ursprünglichen Hauses, die den Brand während des Bürgerkrieges überstanden hatten.
Das restliche Haus war neu erbaut worden.
Während Elena den vertrauten Raum mit seiner alten Einrichtung musterte, hatte sie plötzlich eine Idee. Mit wild klopfendem Herzen rannte sie zur Treppe. „Tante Judith!“
Die Tante hielt mitten auf den Stufen inne. „Tante Judith, sag mir eins. Ist Damon auch im Wohnzimmer gewesen?“ „Wie bitte?“ fragte die Tante verwirrt. „Hat Robert Damon mit ins Wohnzimmer genommen? Bitte denk nach, Tante Judith! Ich muß es wissen.“ „Wieso? Nein, ich glaube nicht. Eigentlich bin ich ganz sicher. Sie kamen rein und sind gleich ins Eßzimmer gegangen. Elena, warum um alles in der Welt...?“ Die letzten Worte gingen unter, als Elena sie stürmisch umarmte und an sich drückte. „Tut mir leid, Tante Judith. Ich bin nur so glücklich“, sagte sie. Lächelnd ging sie die Stufen hinunter. „Nun, ich bin froh, daß wenigstens eine zufrieden ist, so wie das Essen gelaufen ist. Obwohl sich dieser nette Bursche, dieser Damon, offenbar gut unterhalten hat. Weißt du, Elena, er schien sehr von dir eingenommen zu sein, trotz deines Verhaltens ihm gegenüber.“ Elena drehte sich zu ihr um. „So?“ „Also, ich finde, du solltest ihm wenigstens eine Chance geben. Ich fand ihn sehr nett. Das ist einjunger Mann, den ich gern öfter in deiner Begleitung sehen würde.“ Elena würgte einen Moment, dann gelang es ihr, das hysterische Lachen zu unterdrücken, das in ihr aufstieg. Ihre Tante schlug allen Ernstes vor, daß sie Stefan gegen Damon eintauschen sollte... weil Damon mehr Sicherheit bot. Ein anständiger, junger Mann, wie er ihrer Tante gefiel. „Tante Judith“, begann sie etwas atemlos, aber dann sah sie ein, daß es zwecklos war.
Sie schüttelte stumm den Kopf, warf entmutigt die Hände hoch und sah wortlos zu, wie ihre Tante die Treppe hinaufging.
Normalerweise schlief Elena bei geschlossener Tür. Aber heute nacht ließ sie sie offen und starrte im Bett liegend auf den dunklen Flur. Abwechselnd blickte sie hin und wieder auf die Leuchtziffern der Uhr auf ihrem
Nachttisch. Es bestand nicht die geringste Gefahr, daß sie einschlief. Während die Minuten dahinkrochen, wünschte sie fast den Schlaf herbei. Die Zeit verging quälend langsam. Elf Uhr... halb zwölf... Mitternacht. Ein Uhr... halb zwei... zwei. Um zehn Minuten nach zwei hörte sie ein Geräusch. Immer noch im Bett liegend lauschte sie auf das leise Rascheln, das von unten heraufdrang. Sie hatte geahnt, daß er einen Weg finden würde, hineinzukommen. Wenn Damon sich einmal etwas vorgenommen hatte, konnte ihn kein Schloß aussperren. Die Musik aus dem Traum in jener Nacht bei Bonnie klang leise in ihrem Ohr. Eine Handvoll silberheller, einfacher Noten. Sie weckte merkwürdige Gefühle in ihr. Fast wie in Trance oder im Traum gefangen, stand sie auf und trat auf die Schwelle. Der Flur war dunkel, aber ihre Augen hatten lange genug Zeit gehabt, sich daran zu gewöhnen. Sie konnte erkennen, wie eine schwarze Gestalt die Treppe hochkam. Als sie die oberste Stufe erreicht hatte, sah Elena das unwiderstehliche, tödliche Lächeln. Sie wartete ernst, bis er sie erreicht hatte und ihr dicht
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