Tagebuch Eines Vampirs 02. Bei Dämmerung
Liebe wert sein. Stefan hat feste Vorstellungen von Ehre und davon, was richtig und falsch ist. Und jetzt? Wenn er herausfindet, daß ich ihn angelogen habe? Was wird er von mir denken? Wird er mir glauben, daß ich ihn nur schützen wollte? Wird er mir jemals wieder vertrauen können?
Morgen werde ich es wissen. Ich wünschte, es wäre schon alles vorbei. Ich habe keine Ahnung, wie ich es bis dahin aushalten soll.
Elena schlich aus dem Haus, ohne Tante Judith zu sägen, wohin sie ging. Sie hatte keine Lust mehr zu lügen, wollte sich aber auch nicht Tante Judiths Vorhaltungen anhören müssen, wenn diese erfuhr, daß sie zu Stefan wollte. Seit Damon Gast im Haus gewesen war, hatte Judith von ihm geschwärmt und mehr oder weniger deutliche Anspielungen in jedem Gespräch untergebracht. Robert war genauso schlimm. Manchmal kam es Elena so vor, als würde er die Tante noch anstacheln.
Müde klingelte sie an der Pension. Wo steckte Mrs. Flowers nur in letzter Zeit? Als die Tür schließlich geöffnet wurde, stand Stefan selbst dahinter. Er hatte seine Lederjacke an, den Kragen hochgeschlagen. „Ich dachte, wir könnten einen Spaziergang machen“, schlug er vor.
„Nein.“ Elena blieb fest. Da ihr kein echtes Lächeln gelang, versuchte sie es nicht weiter. „Gehen wir nach oben, okay? Wir müssen reden.“ Er sah sie einen Moment überrascht an. Irgend etwas mußte er in ihrem Gesicht gelesen haben, denn sein Ausdruck wurde ernst. Er holte tief Luft und nickte. Ohne ein Wort drehte er sich um und stieg die Stufen voraus in sein Zimmer.
Die Koffer, Truhen und Bücher waren natürlich längst wieder an Ort und Stelle. Doch Elena sah alles mit ganz neuen Augen.
Unwillkürlich fiel ihr die Nacht ein, in der sie zum erstenmal hier gewesen war. Damals hatte Stefan sie davor bewahrt, von Tyler vergewaltigt zu werden.
Ihr Blick streifte über die Dinge auf der Kommode: die florentinischen Goldmünzen aus dem fünfzehnten Jahrhundert, den Dolch mit dem Elfenbeingriff, den kleinen Eisenkasten mit dem eingehängten Deckel. Sie hatte damals versucht, den Deckel zu öffnen, und Stefan hatte ihn wieder zugeschlagen.
Elena drehte sich um. Stefan stand beim Fenster. Sein Körper hob sich gegen den grauen, trüben Himmel ab. Jeden Tag war es kalt und neblig gewesen. Heute bildete keine Ausnahme.
Stefans Miene spiegelte das Wetter wider.
„Nun?“ fragte er ruhig. „Worüber müssen wir reden?“ Jetzt hätte Elena noch zurückgekonnt. Doch sie griff nach dem Kästchen und öffnete es. Darin lag ein Stückchen mattschimmernde, aprikotfarbene Seide. Ihr Haarband. Es erinnerte sie an den Sommer, an Tage, die jetzt unendlich fern zu sein schienen. Sie nahm es in die Hand und hielt es Stefan hin. „Darüber“, sagte sie. Er hatte einen Schritt nach vorn gemacht, als sie das Kästchen berührt hatte, aber jetzt war er überrascht und verwundert. „Darüber?“ „Ja. Denn ich wußte, daß es dort ist, Stefan. Ich habe es schon vor langer Zeit gefunden, an einem Tag, an dem du das Zimmer für ein paar Minuten verlassen hattest. Keine Ahnung, warum ich unbedingt nachsehen mußte, was sich dort verbarg, aber ich konnte es nicht lassen. So habe ich das Band gefunden, Und dann...“ Sie hielt inne und wappnete sich. „Dann habe ich darüber in meinem Tagebuch geschrieben.“ Stefan wurde immer verwirrter. Er schien etwas anderes erwartet zu haben.
Elena suchte nach den richtigen Worten. „Ich habe darüber geschrieben, weil ich es für einen Beweis hielt, daß du mich schon lange magst. Genug magst, um das Band aufzuheben und zu behalten. Ich hätte niemals gedacht, daß es einmal als Indiz für etwas anderes dienen könnte.“ Dann brach es plötzlich aus ihr heraus. Sie erzählte ihm, daß sie das Tagebuch zu Bonnies Haus mitgenommen hatte und wie es dort gestohlen wurde. Von den Nachrichten, die sie bekommen hatte, und wie sie herausgefunden hatte, daß sie von Caroline waren. Dann wandte sie sich ab, zog die Seide immer wieder durch ihre nervösen Finger und berichtete ihm von Tylers und Carolines Plan.
Am Ende versagte ihr fast die Stimme. „Ich habe seither solche Angst“, flüsterte sie, den Blick immer noch auf das Haarband gerichtet. „Angst, daß du böse auf mich bist. Angst, vor dem, was sie tun wollen. Entsetzliche Angst. Ich habe versucht, das Tagebuch zurückzuholen, Stefan. Ich bin sogar in Carolines Haus eingebrochen. Sie hat es zu gut versteckt. Ich habe mir den Kopf zerbrochen, doch mir fällt nichts
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