Tagebuch Eines Vampirs 03. In Der Dunkelheit
geworden war. Dann versagte ihm die Stimme. Er mußte aufhören und die Brille absetzen.
Sue war die nächste. Seit der Grundschule waren beide Mädchen nicht mehr so eng befreundet gewesen. Aber sie hatten sich trotzdem gut verstanden. Sue war eine der wenigen gewesen, die auf Elenas Seite gestanden hatten, nachdem Stefan verdächtigt worden war, Mr. Tanner ermordet zu haben.
Jetzt weinte Sue, als hätte sie eine Schwester verloren.
„Viele haben sich nach der Halloween-Party nicht sehr nett zu Elena verhalten“, begann sie und wischte sich die Augen. „Ich weiß, wie weh ihr das getan hat. Aber Elena war so stark. Sie hat sich nie geändert, nur um die Erwartungen der anderen zu erfüllen. Ich habe sie dafür respektiert... Und so werden wir sie immer in Erinnerung behalten...“ Ihre Stimme schwankte, sie konnte nicht weiterreden.
Die Klassenkameradinnen weinten und hielten sich an den Händen. Selbst die, die am gemeinsten zu Elena gewesen waren und sie gehaßt hatten. Plötzlich war sie die beste Freundin von allen gewesen.
Auch ein paar der Jungs schämten sich ihrer Tränen nicht.
Schockiert drängte sich Elena näher an das Geländer. Sie konnte den Blick nicht abwenden, obwohl es das Schrecklichste war, was sie je miterlebt hatte. Als Meredith sich erhob, erstarrte Elena. Sie wußte nicht, ob sie das ertragen konnte. Die Freundin war eine der wenigen, die nicht weinten.
Doch der traurige, ernste Ausdruck auf ihrem Gesicht erinnerte Elena an die Statue von Honoria Fell auf ihrem Grab.
„Wenn ich mich an Elena erinnere, denke ich an die schönen Zeiten, die wir miteinander hatten.“ Meredith sprach ruhig und beherrscht wie immer. „Sie hatte immer die tollsten Ideen und konnte auch den langweiligsten Dingen noch Spaß abgewinnen. Ich habe ihr das nie gesagt, und heute wünschte ich mir, ich hätte es getan. Ich wünschte mir, ich könnte nur noch einmal mit ihr reden. Und wenn Elena mich jetzt hören könnte...“
Meredith sah sich in der Kirche um und holte tief Luft, anscheinend, um die Fassung nicht zu verlieren. „..wenn sie mich jetzt hören könnte, dann würde ich ihr sagen, wieviel die schönen Zeiten mir bedeutet haben und wie sehr ich sie mir zurückwünsche. Wie zum Beispiel die Donnerstagabende, an denen wir gewöhnlich in ihrem Zimmer saßen und für die Diskussionsrunde in der Schule übten. Ich wünsche mir von ganzem Herzen, wir könnten das nur noch ein einziges Mal tun.“ Meredith holte erneut tief Luft und schüttelte den Kopf.
„Aber ich weiß, es ist
unmöglich, und das tut sehr weh.“ Wovon redest du? fragte sich Elena. Ihre Trauer wich Verwirrtheit. Wir haben für die Diskussionsrunde immer mittwochs abends geübt, nicht donnerstags. Und in deinem Zimmer, nicht in meinem. Spaß hatten wir auch keinen. Meistens haben wir es schnell abgebrochen, weil wir es beide so gehaßt haben... Plötzlich, während sie das ruhige, gefaßte Gesicht von Meredith beobachtete, begann Elenas Herz wie wild zu klopfen.
Meredith schickte ihr eine Botschaft. Eine Botschaft, die nur Elena verstehen konnte! Das hieß, Meredith rechnete damit, daß Elena sie hören konnte. Meredith wußte Bescheid. Hatte Stefan ihr etwas gesagt? Elenas Blick glitt über die Reihen der Trauernden. Zum ersten Mal fiel ihr auf, daß Stefan nicht unter ihnen war. Matt fehlte ebenfalls. Nein, es war unwahrscheinlich, daß Stefan Meredith eingeweiht hatte oder daß sie dann diesen Weg gewählt hätte, um ihr etwas mitzuteilen. Dann fiel Elena wieder ein, wie Meredith sie in der Nacht angesehen hatte, nachdem sie Stefan aus dem Brunnen befreit hatten. Damals hatte Elena gebeten, sie und Stefan allein zu lassen. Sie erinnerte sich, wie die dunklen Augen der Freundin ihr Gesicht in den letzten Monaten mehr als einmal forschend betrachtet hatten und wie Meredith bei jeder ungewöhnlichen Bitte Elenas immer nachdenklicher und stiller geworden war. Meredith hatte etwas geahnt. Elena fragte sich, wieviel sie sich zusammengereimt hatte.
Bonnie trat jetzt nach vorn. Sie weinte heftig. Das war überraschend. Wenn Meredith Bescheid wußte, warum hatte sie Bonnie nicht eingeweiht? Vielleicht hatte Meredith nur einen Verdacht, den sie mit Bonnie nicht teilen wollte, weil er sich als falsch erweisen könnte. Bonnies Rede war so gefühlsbeladen, wie die von Meredith ruhig gewesen war. Ihre Stimme brach andauernd, und sie mußte sich ständig die Tränen abwischen. Schließlich ging Pfarrer Bethea zu ihr und gab ihr ein
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