Tagebuch Eines Vampirs 06. Seelen Der Finsternis
sich verneigte). Die Leute nahmen jetzt ihre Plätze für die erste Darbietung der Silbernen Nachtigall ein. Elena musste zugeben, dass es sie stark danach verlangte, Lady Fazina zu sehen, und außerdem war es noch zu früh, um einen Ausflug in die Damentoilette zu unternehmen– Elena war bereits aufgefallen, dass an allen Türen Wachen postiert waren.
Auf einem Podest in der Mitte eines großen Stuhlkreises standen zwei Harfen. Und dann waren plötzlich alle auf den Beinen und klatschten, und Elena hätte nichts gesehen, wäre Lady Fazina nicht durch eben jenen Gang gekommen, an dem Elena und Damon Platz genommen hatten. Wie die Dinge lagen, hielt sie direkt neben Sage inne, um den tosenden Applaus entgegenzunehmen, und Elena konnte sie ausgiebig mustern.
Sie war eine zauberhafte junge Frau, die zu Elenas Überraschung kaum älter als zwanzig aussah, und sie war fast genauso klein und zierlich wie Bonnie. Dieses winzige Geschöpf nahm seinen Spitznamen offensichtlich sehr ernst: Sie war ganz in ein netzartiges Gewand aus Silber gekleidet. Auch ihr Haar war von metallischem Silber, vorn hoch aufgeworfen und sehr kurz im Nacken. Ihre Schleppe war kaum an ihrem Kleid befestigt; lediglich zwei einfache Spangen hielten sie an den Schultern fest. Die Schleppe schwebte horizontal hinter ihr her und war ständig in Bewegung, eher wie ein Mondstrahl oder eine Wolke denn wie echter Stoff– bis sie das Podest in der Mitte des Raums bestieg und dann einmal um die hohe Harfe herumging, wobei der schwebende Teil der Schleppe jetzt sanft und anmutig in einem Halbkreis um sie herum zu Boden fiel wie ein Cape.
Und dann erlebten sie die Magie der Stimme der Silbernen Nachtigall. Sie begann mit einem Spiel auf der hohen Harfe, die im Vergleich zu ihrer kleinen Figur noch größer wirkte. Sie konnte die Harfe unter ihren Fingern singen lassen, konnte sie beschmeicheln, sodass sie weinte wie der Wind oder Musik machte, die in die Himmelssphären emporstieg. Elena weinte während des ganzen ersten Stückes, obwohl es in einer fremden Sprache gesungen wurde. Es war von einer so bitteren Süße, dass es sie an Stefano erinnerte, an die Zeiten, da sie zusammen gewesen waren und nur durch sanfteste Worte und Berührungen miteinander kommuniziert hatten …
Aber Lady Fazinas beeindruckendstes Instrument war ihre Stimme. Ihr winziger Körper war zu einem erstaunlichen Klangvolumen imstande, wenn sie es wollte. Und während sie ein melancholisches Lied nach dem anderen sang, bekam Elena eine Gänsehaut und ihre Beine begannen zu zittern. Sie hatte das Gefühl, als müsste sie jeden Moment auf die Knie fallen, während die Melodien ihr Herz erfüllten.
Als jemand sie von hinten berührte, zuckte Elena heftig zusammen, zu abrupt aus der Fantasiewelt herausgeholt, die die Musik um sie herum gewoben hatte. Aber es war nur Meredith, die trotz ihrer eigenen Liebe zur Musik einen sehr praktischen Vorschlag für ihre Gruppe hatte.
» Ich wollte fragen, ob wir nicht gleich jetzt anfangen sollten, solange alle anderen von der Musik gebannt sind?«, flüsterte sie. » Selbst die Wachen sind unkonzentriert. Wir haben uns darauf geeinigt, paarweise zu gehen, ja?«
Elena nickte. » Wir sehen uns nur schnell im Haus um. Vielleicht finden wir sogar etwas, während alle anderen noch hier sind und zuhören. Die Vorstellung dauert noch fast eine Stunde. Sage, vielleicht könntest du eine Art telepathische Verbindung zwischen den Gruppen herstellen.«
» Es wäre mir ein Privileg, Madame.«
Zu fünft machten sie sich auf den Weg durch die Villa der Silbernen Nachtigall.
Kapitel Achtundzwanzig
Sie gingen direkt an den weinenden Türwachen vorbei. Aber sehr schnell entdeckten sie, dass zwar fast alle Lady Fazina zuhörten, dass aber in jedem Raum des Palastes, der den Gästen offen stand, ein schwarzgewandeter Haushofmeister mit weißen Handschuhen wartete, bereit, Auskünfte zu geben und ein wachsames Auge auf die Besitztümer seiner Herrin zu haben.
Der erste Raum, der in ihnen eine gewisse Hoffnung weckte, war Lady Fazinas Halle der Harfenkunst. Ein Raum, der ausschließlich der Ausstellung von Harfen diente, angefangen von alten bogenartigen Instrumenten mit nur einer Saite, die wahrscheinlich bereits von Höhlenmenschen gespielt worden waren, bis hin zu hohen vergoldeten Orchesterharfen wie der, die Fazina gerade spielte und deren Musik überall im Palast zu hören war. Magie, dachte Elena wieder. Das war es, was sie hier anstelle von Technologie
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