Tagebuch Eines Vampirs 06. Seelen Der Finsternis
es ernst. Er stand außerdem unter einer furchtbaren Anspannung.
» Damon…«
» Lass mich in Ruhe!«
Nun, wo hatte sie das schon einmal erlebt– dass sich Selbstbeherrschung in Zorn verwandelte? Verwirrt und mit hämmerndem Herzen durchforstete Elena ihre Erinnerungen.
Oh ja. Stefano. Stefano, als sie das erste Mal zusammen in seinem Zimmer gewesen waren, als er Angst gehabt hatte, sie zu lieben. Als er davon überzeugt gewesen war, er würde sie der Verdammnis preisgeben, wenn er ihr seine Gefühle zeigte.
Konnte Damon dem Bruder, den er immer verspottete, so ähnlich sein?
» Dreh dich wenigstens um und sprich mit mir von Angesicht zu Angesicht.«
» Elena.« Es war ein Wispern, aber es klang, als könne Damon seine gewohnte seidenweiche Bedrohlichkeit nicht heraufbeschwören. » Geh ins Bett. Geh zur Hölle. Geh irgendwohin, aber halte dich von mir fern. «
» Du bist so gut darin, nicht wahr?« Elenas eigene Stimme war jetzt kalt. Verwegen und wütend trat sie noch näher an ihn heran. » So gut darin, Leute wegzustoßen. Aber ich weiß, dass du heute Abend noch nicht getrunken hast. Es gibt nichts sonst, was du von mir wollen könntest, und du kannst nicht gleichzeitig den verhungernden Märtyrer spielen und Stefano…«
Elena hatte in dem Wissen gesprochen, dass ihre Worte unter Garantie irgendeine Reaktion auslösen würden, aber Damons gewohnte Reaktion auf etwas Derartiges bestand darin, dass er sich an irgendeine Wand lümmelte und so tat, als habe er nichts gehört.
Was stattdessen geschah, lag vollkommen außerhalb ihrer Erfahrung mit ihm.
Damon fuhr herum, packte sie und hielt sie mit einem eisernen Griff fest. Dann stieß er auf sie herab wie ein Falke auf eine Maus und küsste sie. Er war mehr als stark genug, um sie festzuhalten, ohne ihr wehzutun.
Der Kuss war hart und lang, und eine ganze Weile leistete Elena rein instinktiv Widerstand. Damons Körper fühlte sich kühl an ihrem an, der noch immer warm und feucht vom Bad war. So, wie er sie hielt, würde sie sich wahrscheinlich ernsthaft wehtun, wenn sie sich genug wehrte. Und dann würde er– das wusste sie– sie loslassen. Aber war sie sich dessen wirklich sicher? War sie bereit, sich einen Knochen zu brechen, um die Probe aufs Exempel zu machen?
Er strich ihr übers Haar, was so unfair war, zwirbelte die Enden einzelner Strähnen und zerdrückte sie in den Fingern… nur Stunden, nachdem er sie gelehrt hatte, Dinge bis in die Spitzen ihres Haares zu spüren. Er kannte ihre Schwachstellen. Nicht nur die Schwachstellen einer jeden Frau. Er kannte ihre; er wusste, wie er sie dazu bringen konnte, den Wunsch zu verspüren, vor Wonne aufzuschreien, und er wusste, wie er sie besänftigen konnte.
Es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihre Theorie zu testen und sich vielleicht einen Knochen zu brechen. Sie würde sich nicht unterwerfen, da sie ihn nicht zu diesem Kuss ermutigt hatte. Sie würde es nicht tun!
Aber dann erinnerte sie sich wieder an ihre Neugier in Bezug auf den kleinen Jungen und den großen Steinbrocken und sie öffnete ihren Geist bewusst dem Damons. Er tappte in seine eigene Falle.
Sobald sein und ihr Geist sich verbunden hatten, folgte etwas wie ein Feuerwerk. Explosionen. Raketen. Sterne, die sich in Novas verwandelten. Elena zwang sich, ihren Körper zu ignorieren, und sie hielt Ausschau nach dem Felsbrocken.
Er lag tief, tief in dem verschlossensten Teil von Damons Geist. Tief in der ewigen Dunkelheit, die dort schlief. Aber Elena schien einen Suchscheinwerfer mitgenommen zu haben. Wo immer sie sich hinwandte, fielen dunkle Girlanden aus Spinnweben zu Boden und massive steinerne Gewölbe stürzten ein.
» Mach dir keine Sorgen«, sagte Elena unwillkürlich. » Das Licht wird dir das nicht antun! Du brauchst nicht hier unten zu leben. Ich werde dir die Schönheit des Lichtes zeigen.«
Was rede ich da?, fragte Elena sich, noch während die Worte über ihre Lippen kamen. Wie kann ich ihm das versprechen– und vielleicht lebt er gern hier in der Dunkelheit!
Aber in der nächsten Sekunde war sie dem kleinen Jungen viel näher gekommen, nahe genug, um sein blasses, staunendes Gesicht zu sehen.
» Du bist wiedergekommen«, sagte er, als sei es ein Wunder. » Du hast gesagt, du würdest kommen, und du hast es getan!«
Dies sprengte in Elena sämtliche Barrieren gleichzeitig. Sie kniete sich hin, nutzte die ganze Länge der Ketten aus und nahm den Jungen auf den Schoß. » Bist du froh, dass ich zurückgekommen
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