Tagebuch Eines Vampirs 06. Seelen Der Finsternis
Caroline genannt hat?« Sie konnte die plötzliche Härte in ihrer Stimme hören.
» Caroline?« Damon blinzelte, als habe sie ihn aus dem Konzept gebracht.
» Sie sagte, dass ich, bevor ich Stefano begegnet bin, einfach eine…« Es war Elena unmöglich, die letzten Worte herauszubringen. » Dass ich… reichlich freizügig war.«
Damons Kinn verhärtete sich, und seine Wangen erröteten plötzlich– als habe er aus einer unerwarteten Richtung einen Schlag empfangen. » Dieses Mädchen«, murmelte er. » Sie hat sich bereits für ihr Schicksal entschieden, und wenn es jemand anderer wäre, wäre ich vielleicht geneigt, ein gewisses Mitgefühl zu empfinden. Aber sie hat… keinen… sie hat… nicht den geringsten Anstand.« Während er sprach, kamen seine Worte immer langsamer und ein Ausdruck der Verwirrung umwölkte sein Gesicht. Er betrachtete Elena, und sie wusste, dass er die Tränen in ihren Augen sehen konnte, denn er hob beide Hände, um sie mit den Fingern wegzuwischen. Dann jedoch hielt er mitten in der Bewegung inne und mit nachdenklicher Miene führte er eine Hand an seine Lippen und kostete ihre Tränen.
Wie auch immer sie ihm schmeckten, er schien es nicht glauben zu können. Er führte auch die andere Hand an die Lippen. Elena starrte ihn jetzt unverhohlen an. Ein Kaleidoskop von Gefühlsausdrücken glitt über sein Gesicht, zu schnell, als dass ihre menschlichen Augen sie alle hätten erfassen können. Aber was sie sah, waren Erstaunen, Ungläubigkeit, Verbitterung, noch mehr Erstaunen und dann endlich eine Art von freudigem Schock und ein Ausdruck, beinahe als stünden ihm selbst Tränen in den Augen.
Und dann lachte Damon. Es war ein schnelles, selbstironisches Lachen, aber es war echt, sogar euphorisch.
» Damon«, sagte Elena, die immer noch gegen Tränen anblinzelte– es war alles so schnell gegangen–, » was ist los mit dir?«
» Nichts ist los, alles ist bestens«, antwortete er, während er lehrerhaft einen Finger hob. » Du solltest niemals versuchen, einen Vampir zu täuschen, Elena. Vampire haben viele Sinne, die Menschen nicht haben– und einige, von denen nicht einmal wir wissen, dass wir sie besitzen, bis wir sie benötigen. Ich habe lange genug gebraucht, um zu begreifen, was ich über dich weiß. Denn mein eigener Verstand hat mir immer etwas anderes gesagt als das, was alle anderen über dich gesagt haben. Aber ich bin endlich dahintergekommen. Ich weiß, was du wirklich bist, Elena.«
Eine halbe Minute lang saß Elena in schockiertes Schweigen gehüllt da. » Wenn du es weißt, dann kann ich dir jetzt ebenso gut sagen, dass niemand dir glauben wird.«
» Vielleicht nicht«, entgegnete Damon, » vor allem die Menschen nicht. Aber Vampire sind darauf geeicht, die Aura einer Jungfrau zu erkennen. Und du bist der reinste Einhornköder, Elena. Ich weiß nicht, wie du zu deinem Ruf gekommen bist, und es ist mir auch egal. Er hat mich selbst lange getäuscht, aber ich habe endlich die Wahrheit entdeckt.« Plötzlich beugte er sich über sie, sodass sie nichts anderes sehen konnte als ihn, sein feines Haar, das über ihre Stirn strich, seine Lippen dicht an ihren, seine dunklen, unergründlichen Augen, die ihren Blick festhielten.
» Elena«, flüsterte er. » Dies ist ein Geheimnis. Ich weiß nicht, wie du es geschafft hast, aber… du bist eine Jungfrau.«
Er beugte sich noch weiter über sie, seine Lippen strichen federzart über ihre und er teilte seine bewussten Atemzüge mit ihren. So verharrten sie sehr, sehr lange, Damon anscheinend wie gebannt von der Erfahrung, Elena etwas von seinem eigenen Körper zu geben: den Sauerstoff, den sowohl sie als auch er brauchten, den sie aber auf verschiedene Art und Weise bekamen. Für viele Menschen wäre das vielleicht zu viel gewesen– die Reglosigkeit ihrer Körper, das Schweigen und der andauernde Blickkontakt, denn keiner von beiden hatte die Augen geschlossen. Es war, als hätten sie sich zu tief in die Persönlichkeit des anderen hineingestürzt, sodass sich ihre jeweiligen Grenzen verloren und sie zu einem ätherischen Teil des anderen wurden, bevor auch nur ein Kuss getauscht worden war.
Aber Elena schwebte in der Luft, schwebte auf dem Atem, den Damon ihr gab– und zwar im buchstäblichen Sinne. Wenn Damons starke, lange, schlanke Hände sie nicht an den Schultern festgehalten hätten, wäre sie seinem Griff gänzlich entflohen.
Elena wusste, dass es noch eine andere Möglichkeit gab, sie auf dem Bett zu halten. Er
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