Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
tapfere kleine Rotkäppchen und Matt.
Bitte, wollte er sagen. Versuch nicht, mich zu retten. Lauf. Elena, du
musst weglaufen.
Aber er konnte sich nicht bewegen, konnte nicht sprechen.
Dann veränderte das Phantom seine Haltung, und Damon sah, wie
Elena in ihrem Angriff innehielt und sich krümmte, während sie das
Gesicht vor Schmerz verzog. Matt und Bonnie hatten ebenfalls die Arme
um ihre Körper geschlungen, ihre Gesichter waren bleich und angespannt,
ihre Münder zu Schreien geöffnet. Mit einem Aufheulen brach Bonnie
zusammen.
Oh nein, dachte Damon, und ein Stich des Entsetzens durchzuckte ihn.
Nicht Elena. Nicht das Rotkäppchen. Nicht für mich.
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Dann kreiselte plötzlich ein stürmischer Wind um ihn herum, und er
wurde aus dem Griff des Phantoms gerissen. Es dröhnte in seinen Ohren
und brannte in seinen Augen. Als er sich umschaute, sah er Bonnie und
Elena, deren Haar wild um sie herumflog; Matt, dessen Arme wie Wind-
mühlenflügel kreisten; und das Phantom, dessen glasgrünes Gesicht aus-
nahmsweise einmal einen verwirrten Ausdruck zeigte.
Tornado, dachte Damon vage und dann: Tor. Und er begriff, dass er
nach oben gezogen wurde, wieder zurück in die Dunkelheit.
Der Wind heulte jetzt ohrenbetäubend laut, und Stefano musste die
Stimme heben, um sich Gehör zu verschaffen. Er musste beide Hände auf
das Buch pressen, damit es ihm nicht entrissen wurde. Es war, als ver-
suche etwas Lebendiges und sehr Starkes, es von ihm wegzuzerren.
»Mihi adi. Te voco. Necesse est tibi parere«, sagte Stefano. »Komm zu
mir. Ich rufe dich. Du musst gehorchen.«
Das war das Ende des lateinischen Beschwörungszaubers. Als nächstes
kam der Bannzauber, den er auf Englisch sprechen würde. Aber natürlich
musste das Phantom tatsächlich zugegen sein, damit dieser Teil des
Zaubers Wirkung zeigte.
Der Wind, der durch die Garage peitschte, wurde noch stärker. Draußen
grollte Donner.
Stefano beobachtete den innersten Kreis, der tief in der Dunkelheit der
Garage lag. Aber da war nichts. Der unnatürliche Wind begann nachzu-
lassen. Panik stieg in ihm auf. Hatten sie versagt? Er sah Alaric und
Meredith ängstlich an, dann Mrs Flowers, aber keiner von ihnen schaute
in seine Richtung, weil sie alle wie gebannt auf den Kreis starrten.
Stefano blickte ebenfalls wieder dorthin und hoffte gegen alle Hoffnung.
Aber da war nichts.
Moment.
Da war eine ganz schwache Bewegung von irgendetwas, mitten im Zen-
trum des Kreises, ein winziger Schimmer von blaugrünem Licht, und mit
dem Licht kam Kälte. Nicht wie der kalte Wind, der durch die Garage
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gefahren war, sondern eher wie ein eisiger Atemzug – einatmen und ausat-
men, einatmen und ausatmen –, langsam und stetig und eisig kalt, direkt
von dieser einen Stelle.
Das Schimmern wurde breiter, tiefer, dunkler und bewegte sich plötzlich
und verwandelte sich von einem diffusen Licht – in eine Frau. Eine eisige,
neblige, riesige Frau in Blau- und Grünschattierungen. Tief in ihrer Brust
steckte eine dunkelrote Rose, deren Stiel aus puren Dornen bestand.
Meredith und Sabrina keuchten hörbar auf. Mrs Flowers betrachtete die
Rose gelassen, während Alaric der Unterkiefer herunterklappte.
Dies musste das Eifersuchtsphantom sein. Für Stefano war Eifersucht
immer etwas brennend Heißes gewesen. Feurige Küsse, feuriger Zorn.
Aber Zorn, Lust, Neid, all die Dinge, aus denen Eifersucht bestand, kon-
nten auch kalt sein, und er zweifelte nicht daran, dass sie das richtige
Phantom vor sich hatten.
Stefano bemerkte all diese Dinge – und hatte sie in einem Sekunden-
bruchteil bereits wieder vergessen. Denn in der Mitte des Kreises war nicht
nur die Eisfrau erschienen.
Weinend, taumelnd und mit Asche und Schlamm verkrustet tauchten
auch drei Menschen auf.
Seine schöne, elegante Elena, vollkommen verdreckt, das goldene Haar
verheddert und verfilzt, mit blutigem Gesicht. Die zierliche kleine Bonnie,
tränenüberströmt und bleich wie Milch, aber mit einem zornigen Gesicht-
sausdruck, während sie das Phantom mit Füßen und Fäusten attackierte.
Und der bodenständige, verlässliche all-american boy Matt, staubig und
zerzaust, der sich umdrehte und sie mit seltsam leerem Gesichtsausdruck
betrachtete, als frage er sich, in welcher neuen Hölle er jetzt wieder
gelandet war.
Und dann war da eine weitere Person, eine vierte Gestalt, die zitterte
und keuchte, und die als Letzte schimmernd in Sicht kam. Im ersten
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