Tagebuch eines Vampirs 8 - Jagd im Abendrot
strah-
lendes Lächeln auf. »Darf ich Bonnie und Meredith einladen? Sie finden
einen Mädelsabend bestimmt auch toll.« Und es wäre nett, dachte sie, Fre-
undinnen um sich zu haben, die genauso wenig Ahnung hatten, was in
dieser offiziellen Version von Fell’s Church eigentlich alles passiert war.
»Wunderbar. Ich gebe dir dann noch Bescheid, wo es hingehen soll«, er-
widerte Tante Judith glücklich und entspannt. »Dann viel Spaß ihr zwei.«
Gerade als Elena zur Tür hinauswollte, kam Margaret aus der Küche
gerannt. »Elena!«, rief sie und schlang die Arme fest um Elenas Taille.
Elena beugte sich hinunter und küsste sie auf den Kopf.
»Bis später, mein Häschen«, sagte sie.
Doch Margaret gab Elena und Stefano mit ihren kleinen Händen ein
Zeichen, dass sie sich hinknien sollten. Dann hielt sie die Lippen direkt an
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ihre Ohren. »Vergesst diesmal bitte nicht, zurückzukommen«, flüsterte
sie, bevor sie wieder in der Küche verschwand.
Für einen Moment kniete Elena wie erstarrt da. Stefano nahm ihre
Hand und zog sie hoch, und selbst ohne ihre telepathische Verbindung
wusste sie, dass sie den gleichen Gedanken hatten.
Als sie in sicherer Entfernung vom Haus waren, fasste Stefano sie an
den Schultern. Er sah sie mit seinen leuchtend grünen Augen an und
beugte sich vor, um einen leichten Kuss auf ihre Lippen zu hauchen.
»Margaret ist ein kleines Mädchen«, sagte er energisch. »Es könnte gut
sein, dass sie einfach nicht will, dass ihre große Schwester weggeht. Viel-
leicht ist sie auch traurig, weil du aufs College gehen wirst.«
»Vielleicht«, murmelte Elena, während Stefano sie in die Arme nahm.
Sie atmete seinen grünen, an einen Wald erinnernden Duft ein und spürte,
wie ihre Atmung sich verlangsamte und der Knoten in ihrem Magen sich
lockerte.
»Und wenn nicht«, fügte sie langsam hinzu, »werden wir es in Ordnung
bringen. Wie immer. Aber jetzt will ich erst mal sehen, was uns die
Wächter beschert haben.«
Kapitel Vier
Es waren die kleinen Veränderungen, die Elena am meisten überraschten.
Sie hatte erwartet, dass die Wächter Fell’s Church so erstrahlen ließen, als
hätte es die Kitsune nie gegeben. Und genau das hatten sie getan. Aber …
Als sie die Stadt das letzte Mal gesehen hatte, lag wahrscheinlich ein
Viertel der Häuser in Trümmern: Sie waren verbrannt oder explodiert,
einige vollkommen zerstört, andere nur zur Hälfte, und die Absperrbänder
der Polizei hatten trostlos vor dem gebaumelt, was von ihren Eingängen
übrig geblieben war. Auf den Hausruinen und rundherum waren Bäume
und Büsche seltsam in die Länge gewachsen, Kletterpflanzen hatten sich
um die Trümmer gelegt und den Straßen der kleinen Stadt das Aussehen
eines uralten Dschungels verliehen.
Jetzt sah Fell’s Church – zum größten Teil – wieder genauso aus, wie
Elena es in Erinnerung hatte. Eine kleine Südstaatenstadt wie aus dem
Bilderbuch, mit Häusern, deren große Veranden von sorgfältig gepflegten
Blumenbeeten und riesigen alten Bäumen umgeben waren. Die Sonne
schien, und die Luft war warm und erfüllt von dem Versprechen auf einen
heißen und feuchten Sommertag, wie er für Virginia typisch ist.
Einige Häuserblocks entfernt erklang das gedämpfte Dröhnen eines
Rasenmähers, und der Geruch von frisch gemähtem Gras lag in der Luft.
Die Kinder im Haus an der Ecke hatten ihr Badminton-Set heraus-
geschleppt und schlugen einen Federball hin und her; das kleinste Mäd-
chen winkte Elena und Stefano zu, als sie vorbeigingen. Das alles schien
Elena geradewegs zu jenen langen Julitagen zurückzuführen, die sie in all
den früheren Sommern ihres Lebens so sehr genossen hatte.
Doch Elena hatte nicht darum gebeten, ihr altes Leben zurückzubekom-
men. Ihre genauen Worte waren gewesen: Ich will ein neues Leben und
mein echtes, altes Leben hinter mir lassen. Sie hatte gewollt, dass Fell’s
Church so war, wie es sich entwickelt hätte, im Laufe der Monate, wenn
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das Böse zu Beginn ihres Abschlussjahres niemals in die Stadt gekommen
wäre.
Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, dass all die kleinen, damit
einhergehenden Veränderungen sie so verwirren würden. In der Mitte des
nächsten Blocks waren die schmalen Häuser im Kolonialstil in einem
überraschenden Rosaton gestrichen worden, und die alte Eiche auf dem
Rasen vor einem der Häuser war gefällt und durch Büsche ersetzt worden,
die bereits blühten.
»Huh.« Elena
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