Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
dir doch gesagt«, erwiderte er und bemühte
sich, ruhig zu bleiben. »Er will sich davon überzeugen, dass du in Sicher-
heit bist, aber er will nicht mit dir zusammen sein. Aber ich will es.« Da-
mon nahm entschlossen ihren Arm und zog sie sanft vorwärts. »Wollen
wir?«
Kapitel Sechsunddreissig
Für den Bruchteil einer Sekunde entgleisten James’ Gesichtszüge, als er
zur Tür kam und Elena sah. Entgeistert trat er zurück, als wolle er ihr die
Tür vor der Nase zuschlagen, schien sich dann jedoch eines Besseren zu
besinnen und machte die Tür ganz auf. Das vertraute Lächeln breitete
sich auf seinem Gesicht aus.
»Nun, Elena«, sagte er, »meine Liebe, ich habe zu dieser Stunde eigent-
lich keinen Besuch mehr erwartet. Ich fürchte, jetzt ist nicht gerade der
beste Zeitpunkt.« Er räusperte sich. »Ich würde mich freuen, Sie während
der Sprechstunde am College zu sehen. Montags und freitags, erinnern
Sie sich? Und nun entschuldigen Sie mich bitte.« Er lächelte immer noch
sanft, versuchte jetzt aber tatsächlich, ihr die Tür vor der Nase
zuzuschlagen.
Elena hob abwehrend die Hand. »Warten Sie bitte! James, ich weiß, Sie
wollen nicht über diese Abzeichen reden, aber es ist wichtig. Ich muss
mehr über die Vitale Society erfahren.«
Er sah sie an und gleich wieder weg, als sei er verlegen. »Ja, nun«, ent-
gegnete er zögerlich, »das Problem ist, dass es nicht gerne gesehen wird,
wenn eine Studentin – jede Studentin, Sie verstehen, meine Liebe, das hat
nichts mit Ihnen persönlich zu tun – ohne Begleitung einen Professor zu
Hause besucht. Die böse Welt, in der wir leben, Sie wissen schon.« Mit
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einem leisen Kichern drückte er energisch gegen die Tür. »Alles hat seine
Zeit und seinen Ort.«
Elena hielt ebenso energisch dagegen. »Ich nehme Ihnen nicht ab, dass
Sie mich wegschicken wollen, weil mein Besuch nicht gerne gesehen
wird«, erklärte sie rundheraus. »So leicht werden Sie mich nicht los,
James. Menschen sind in Gefahr! Ich weiß, dass Sie und meine Eltern der
Vitale Society angehört haben. Sie müssen mir erzählen, was immer Sie
über jene Zeit geheim halten. Ich glaube, die Vitale Society hat mit den
Morden und den verschwundenen Studenten auf dem Campus zu tun,
und wir müssen dem ein Ende machen. Sie sind mein einziger Anhalt-
spunkt, James.«
Er zögerte und bekam feuchte Augen und Elena fixierte ihn mit ihrem
Blick. »Es werden noch mehr Leute sterben«, sagte sie rau, »aber Sie sind
vielleicht in der Lage, das zu verhindern. Werden Sie es versuchen?«
James war sichtlich hin und her gerissen, dann sackten plötzlich seine
Schultern herunter und er schien nachzugeben. »Ich weiß nicht, ob Ihnen
das, was ich Ihnen erzählen kann, weiterhelfen wird. Ich weiß nichts über
diese Morde. Aber kommen Sie besser herein«, fügte er hinzu und führte
sie den Flur entlang in sein Haus. Die Küche war blitzsauber, mit
makellosen weißen Oberflächen, Kupfertöpfen und geflochtenen Körben
an den Wänden und kirschroten Geschirrtüchern, die an ihren Haken
baumelten. Gerahmte Bilder mit Obst- und Gemüsemotiven schmückten
den Raum. James ließ sie am Tisch Platz nehmen, bevor er sich der
Teezubereitung widmete.
Elena wartete geduldig, bis er ihr endlich gegenübersaß; vor ihnen
beiden dampfte jeweils eine Tasse Tee. »Milch?«, fragte er und reichte ihr
umständlich das Kännchen, ohne ihr in die Augen zu sehen. »Zucker?«
»Danke«, sagte Elena. Dann beugte sie sich über den Tisch und legte
ihre Hand so lange auf seine, bis er sie anschaute. »Erzählen Sie es mir«,
bat sie schlicht.
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»Ich weiß nichts über die Morde«, wiederholte James. »Glauben Sie
mir, ich hätte nichts geheim gehalten, wenn ich befürchten müsste, dass
deswegen irgendjemand in Gefahr ist.«
Elena nickte. »Das weiß ich«, sagte sie. »Aber selbst wenn kein Zusam-
menhang besteht, wenn es sich bei dem Geheimnis ausschließlich um
meine Eltern dreht, habe ich ein Recht, davon zu erfahren.«
James seufzte. »Das alles ist vor langer Zeit passiert, verstehen Sie«,
begann er. »Wir waren jung und ein bisschen naiv. Die Vitale Society
kämpfte damals für das Gute. Wir huldigten Naturgeistern und zogen un-
sere Energie aus der heiligen Erde. Wir waren eine positive Macht in der
Gesellschaft, hauptsächlich interessiert an Liebe und Frieden und kreat-
iven Gedanken. Wir haben anderen gedient. Ich habe gehört, dass die
Vitale
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