Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
hatte sie angelächelt, als nähme er sie wirklich wahr, in-
mitten dieses ganzen Durcheinanders.
Und was war mit dem Entschluss, den sie gestern erst getroffen hatte,
als sie von ebendieser Buchhandlung zu ihrem Wohnheim zurückgegan-
gen war? Wenn sie eine großartige, selbstbewusste Persönlichkeit werden
wollte, die über ihren eigenen Schatten sprang, dann konnte sie nicht
jedes Mal davonlaufen, wenn sie einen Jungen sah, der ihr gefiel.
Bonnie hatte immer bewundert, wie Elena es schaffte, alles zu bekom-
men, was sie wollte. Elena nahm es sich einfach, und nichts konnte sie
daran hindern. Als Stefano damals nach Fell’s Church gekommen war,
wollte er jegliche Nähe zu Elena um jeden Preis vermeiden, geschweige
denn eine Liebesbeziehung bis in alle Ewigkeit mit ihr anfangen. Aber
Elena war das egal gewesen. Sie wollte Stefano, selbst wenn es sie
umbrachte.
Nun ja, und es hatte sie schließlich umgebracht, oder? Bonnie
schauderte.
Dann schüttelte sie den Kopf. Aber wenn man Liebe finden wollte,
durfte man keine Angst haben, sie auch zu suchen, nicht wahr?
Sie reckte entschlossen das Kinn vor. Zumindest war sie jetzt nicht
mehr rot. Ihre Wangen fühlten sich so kalt an, dass sie wahrscheinlich
sogar weiß wie eine Schneefrau war, und das war eindeutig besser als rot.
Immerhin etwas.
Bevor sie ihre Meinung wieder ändern konnte, ging sie schnell zurück
in den Gang, in dem Zander stand.
»Hi!«, sagte sie, und ihre Stimme zitterte ein klein wenig. »Zander!«
Er schaute auf und dieses umwerfende, wunderschöne Lächeln breitete
sich auf seinem Gesicht aus.
»Bonnie!«, begrüßte er sie überschwänglich. »He, ich freue mich wirk-
lich, dich zu sehen. Ich hab vorhin schon an dich gedacht.«
»Ach ja ?«, gab Bonnie zurück und hätte sich am liebsten sofort einen
Tritt verpasst, weil sie viel zu begeistert geklungen hatte.
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»Ja«, sagte er leise. Seine himmelblauen Augen hielten ihren Blick fest.
»Ich wünschte, ich hätte dich nach deiner Handynummer gefragt.«
»Ach ja?«, fragte Bonnie erneut, und diesmal war es ihr egal, wie sie
sich anhörte.
»Na klar«, erwiderte er. Er scharrte mit den Füßen, als sei er ein wenig
nervös, und Bonnie wurde warm ums Herz. Es machte ihn nervös, mit ihr
zu reden! »Ich dachte«, fuhr Zander fort, »dass wir vielleicht irgendwann
mal etwas zusammen unternehmen könnten. Ich meine, wenn du Lust
dazu hast.«
»Oh«, machte Bonnie. »Ich meine natürlich, ja! Sehr gerne, wenn du
auch Lust hast.« Zander lächelte wieder, und es war, als würde die kleine
Ecke der Romanabteilung von einem strahlenden Licht erhellt. Bonnie
musste sich zusammenreißen, damit sie nicht taumelte, so umwerfend
war er.
»Wie wäre es gegen Ende der Woche?«, fragte Zander, und da schwebte
Bonnie plötzlich über allen Wolken und erwiderte glücklich sein Lächeln.
Meredith nahm Verteidigungshaltung an: Sie schob den linken Fuß hinter
sich, hob die rechte Ferse und hielt die geballten Fäuste vor sich. Dann
schob sie den Fuß seitwärts in eine Vorwärtsposition und stieß ihre linke
Faust nach vorn. Sie liebte ihr Taekwondo-Training. Jede Bewegung fol-
gte einer bestimmten Choreografie, und man musste so lange trainieren,
bis der ganze Bewegungsablauf präzise, anmutig und fließend war. Dazu
brauchte man Selbstbeherrschung. Jede Taekwondo-Position konnte per-
fektioniert werden und Meredith liebte Perfektion.
Das Beste daran war, dass mit zunehmendem Training alle Bewegun-
gen in Fleisch und Blut übergingen und so selbstverständlich wurden wie
das Atmen. Und Meredith war bereit für alles. In einem Kampf konnte sie
die Handlungen ihres Gegners voraussehen und mit ihrem Körper block-
ieren, treten oder boxen, ohne darüber nachzudenken.
Sie drehte sich schnell um, hob die rechte Faust und senkte die linke
zum Abblocken. Vorbereitung war alles, das wusste Meredith. Wenn sie
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so vorbereitet war, dass ihr Körper instinktiv wusste, welche Bewegung er
machen musste, dann würde sie sich selbst und alle um sie herum wirk-
lich beschützen können.
Vor einigen Wochen, als sie und ihre Freunde von dem Phantom an-
gegriffen worden waren, hatte sie sich den Knöchel verstaucht und Ste-
fano war der einzige gewesen, der genug Macht gehabt hatte, um Fell’s
Church zu verteidigen.
Stefano, ein Vampir.
Meredith presste die Lippen zusammen, als sie den rechten Fuß auto-
matisch vorschnellen ließ, in Tigerhaltung ging und
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