Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
einem gelben Band abges-
perrt war. Studenten standen in Zweier- oder Dreiergrüppchen in der
Nähe und unterhielten sich leise. Bonnie entdeckte einen rötlich-braunen
Fleck auf der anderen Seite des Weges; sie vermutete, dass es Blut war,
und ging so schnell wie möglich daran vorbei.
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Da hörte sie ein Rascheln in den Büschen. Bonnie ging noch schneller
und stellte sich einen Angreifer mit irrem Blick vor, der sich im Unterholz
versteckte. Sie sah sich nervös um. Niemand schaute in ihre Richtung.
Würde ihr jemand helfen, wenn sie schrie?
Sie riskierte einen Blick auf das Gebüsch – sollte sie einfach losrennen?
– und blieb stehen, peinlich berührt von dem heftigen Hämmern ihres
Herzens. Ein niedliches kleines Eichhörnchen hüpfte unschuldig unter
den Zweigen herum. Es schnupperte und dann flitzte es über den Weg
und hinter dem Polizeiband einen Baum hinauf.
»Ehrlich, Bonnie McCullough, du spinnst«, murmelte Bonnie vor sich
hin. Ein Junge, der in die andere Richtung unterwegs war, hörte sie und
grinste, woraufhin Bonnie heftig errötete.
Als sie die Buchhandlung erreichte, hatte sie ihre Gesichtsfarbe wieder
im Griff. Es war ziemlich lästig, den typischen Teint einer Rothaarigen zu
haben – auf der hellen Haut kamen alle ihre Empfindungen besonders
deutlich zur Geltung. Doch mit ein wenig Glück würde sie ihr einfaches
Vorhaben in die Tat umsetzen können, ohne sich für irgendetwas schä-
men zu müssen.
Bonnie war durch ihren Einkauf am vergangenen Tag schon ein wenig
mit dem Buchladen vertraut, aber die Bücherabteilung hatte sie noch
nicht erkundet. Heute jedoch hatte sie eine Liste mit Büchern dabei, die
sie brauchte, um ernsthaft für ihre Kurse lernen zu können. Sie war zwar
nie ein großer Fan von Schule und Lernen gewesen, aber vielleicht würde
das auf dem College anders werden. Entschlossen straffte sie die Schul-
tern und wandte sich den Lehrbüchern zu.
Allerdings war die Bücherliste schrecklich lang. Als Erstes fand sie das
dicke Lehrbuch zur Einführung in die Psychologie und verspürte eine
gewisse Befriedigung: Darin würde sie sicher alle Fachbegriffe finden, mit
denen sie ihre Freunde analysieren konnte. In ihrem Englischseminar
standen einige Romane auf dem Programm, also wanderte sie durch die
entsprechende Abteilung und nahm im Vorbeigehen Rot und Schwarz,
Oliver Twist und Zeit der Unschuld von den Regalen.
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Auf der Suche nach den anderen Titeln auf ihrer Liste trat sie in die
nächste Regalreihe. Sie wollte gerade ihrem wachsenden Bücherstapel
Zum Leuchtturm hinzufügen, als sie wie angewurzelt stehen blieb.
Zander. Der umwerfende Zander stand geschmeidig an dem Regal und
beugte seinen weißblonden Kopf über ein Buch. Er hatte sie noch nicht
gesehen, daher tauchte Bonnie sofort wieder in den Gang ab, aus dem sie
gekommen war. Schwer atmend lehnte sie sich gegen die Wand. Sie
merkte, dass ihre Wangen erneut heiß wurden, und konnte diese schreck-
liche verräterische Röte spüren.
Vorsichtig spähte sie wieder um die Ecke. Er bemerkte sie immer noch
nicht und las konzentriert weiter. Heute trug er ein graues T-Shirt und
sein Haar lockte sich ein wenig im Nacken. Sein Gesicht wirkte irgendwie
traurig, trotz der fantastischen blauen Augen, die unter langen Wimpern
verborgen waren; von seinem umwerfenden Lächeln war nichts zu sehen.
Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe.
Bonnies erster Impuls war, sich davonzuschleichen. Sie konnte noch
warten und sich das Buch von Virginia Woolf morgen besorgen; schließ-
lich musste sie es nicht gleich heute lesen. Sie wollte unbedingt ver-
meiden, dass Zander dachte, sie verfolge ihn. Es wäre viel besser, wenn er
sie zufällig irgendwo sah und sie es nicht bemerkte. Denn wenn er sie
dann ansprach, würde sie wissen, dass er Interesse an ihr hatte.
Aber vielleicht war er gar nicht an Bonnie interessiert. Er hatte zwar
geflirtet, als er mit ihr zusammengestoßen war, aber schließlich hätte er
sie auch beinahe umgerannt. Was, wenn er einfach nur freundlich
gewesen war? Was, wenn er sich an Bonnie nicht einmal erinnerte?
Nein, es war besser, zu verschwinden und auf eine andere Gelegenheit
zu warten. Oh Gott, sie hatte nicht mal Eyeliner aufgetragen!
Entschlossen wandte Bonnie sich ab.
Aber andererseits …
Bonnie zögerte. Da war eine Verbindung zwischen ihnen gewesen,
oder? Sie hatte etwas empfunden, als ihre Blicke einander begegnet
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waren. Und er
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