Tagebuch eines Vampirs - Jagd im Morgengrauen
aber es ist…« Er zögerte. »Ü berraschend«, fügte er schließlich hinzu.
»J etzt musst du es mir aber sagen«, verlangte Elena. »O der ich werde vor Sorge ins Koma fallen.« Als sie sah, wie bestürzt Andrés dreinblickte, fügte sie hastig hinzu: »D as war nur ein Witz.«
»A lso schön«, sagte Andrés. »D u weißt, wie wir dich in den Tunneln gefunden haben, richtig?«
Elena nickte. »N icolaus war tot«, antwortete sie. »D u hast gesagt, laut einer Legende tötet das Blut einer bestimmten Wächterin die Alten.« Sie schüttelte den Kopf. »D as ist das Erste, was ich nicht verstehe. Wie kann ich so eine Familiengeschichte haben, ohne es zu wissen?«
»I ch habe ebenfalls Mühe, es zu verstehen«, bestätigte Andrés. »H immlische Wächter haben keine Kinder, soweit ich weiß. Sie sind ja keine«– er runzelte die Stirn– »M enschen, nicht direkt. Zumindest habe ich das immer geglaubt. Ich denke, wir beide müssen noch viel lernen.« Er griff in seine Jacke und zog ein kleines, in Leder gebundenes Buch heraus. »I ch habe dir etwas mitgebracht, von dem ich hoffe, dass es Licht auf einige deiner Fragen werfen wird«, meinte er. »I ch habe begonnen, es zu lesen, bis mir klar wurde, dass es für dich bestimmt war, nicht für mich. Die Polizei hat mir endlich erlaubt, in James’ Haus zurückzukehren, und dort habe ich es gefunden. Ich glaube, das ist auch der Grund, weshalb er dich angerufen hatte, als er sagte, er habe eine Möglichkeit gefunden, Nicolaus zu töten. Ich vermute, er hat es noch rechtzeitig versteckt, bevor Nicolaus ihn umbrachte. Es muss direkt nach dem Tod deiner Eltern an ihn geschickt worden sein.«
»N ach dem Tod meiner Eltern? Was ist es denn?«, fragte Elena und streckte die Hand nach dem Buch aus. Es fühlte sich seltsam angenehm an, als gehöre es natürlicherweise in ihre Hand.
Andrés zögerte eine Weile, bevor er antwortete.
»I ch denke, es ist besser, wenn du das selbst herausfindest«, sagte er schließlich. Er stand auf und berührte Elena kurz an der Schulter. »I ch finde allein nach draußen.«
Elena nickte und schaute ihm nachdenklich nach. Andrés lächelte, als er die Tür hinter sich schloss. Dann widmete sie sich neugierig dem Büchlein. Es war ziemlich schlicht, ohne irgendwelche Muster oder auf den Einband geprägte Worte, und es war in sehr weiches hellbraunes Leder gebunden. Als sie es aufschlug, sah sie, dass es ein Tagebuch war, von Hand geschrieben in einer großen, schwungvollen Schrift, als hätte es der Verfasser eilig gehabt, eine Million Gedanken und Gefühle auf die Seite zu bringen.
Ich werde ihnen Elena nicht überlassen, las sie. Die Worte standen gleich am Anfang der ersten Seite und Elena keuchte auf. Als sie die Seite überflog, sprangen ihr die Namen Thomas – ihr Vater– und Margaret – ihre Schwester– ins Auge. War dies das Tagebuch ihrer Mutter? Ihr wurde plötzlich klamm ums Herz und sie musste heftig blinzeln. Ihre schöne, stets gefasste Mutter, diejenige, die immer so geschickt mit ihren Händen und so liebevoll und klug im Herzen gewesen war, die Elena so sehr geliebt und bewundert hatte– mit diesem Tagebuch war es beinahe so, als höre Elena sie wieder sprechen.
Nach einem Moment beruhigte sie sich und begann weiterzulesen.
Ich werde ihnen Elena nicht überlassen.
Elena ist gestern zwölf geworden. Als ich die Geburtstagskerzen aus dem Schrank holte, begann das Ewigkeitsmal auf der Innenfläche meiner Hand zu jucken und zu brennen. Es war schon fast bis zur Unsichtbarkeit verblasst nach so vielen Jahren, aber als ich jetzt meine Hand betrachtete, leuchtete es plötzlich wieder so klar wie an jenem Tag, an dem ich das erste Mal in meine Pflichten eingeweiht worden war.
Ich wusste, dass meine Schwestern nach mir riefen, dass sie mich daran erinnerten, was ich ihnen ihrer Meinung nach schuldete.
Aber ich werde ihnen Elena nicht überlassen.
Nicht jetzt und vielleicht sogar niemals.
Ich werde die katastrophalen Fehler nicht wiederholen, die ich in der Vergangenheit gemacht habe.
Thomas versteht das. Trotz unserer Einwilligung – als wir jung waren, als Elena noch eine Wunschvorstellung war und noch kein witziges, entschlossenes, scharfsichtiges Wesen – weiß auch er, dass wir sie nicht einfach gehen lassen können. Sie und Margaret, das süße Baby Margaret – die Wächter werden schließlich auch sie wollen, wegen der Person, die ich früher einmal war.
Die Kräfte, die meine lieben Mädchen haben werden,
Weitere Kostenlose Bücher