Tagebuch eines Vampirs - Jagd im Morgengrauen
zu kommen.
Da sah sie Streifen von einem schmutzigen Rostrot vor sich, durchsetzt mit einem kränklichen galligen Gelb. Ganz anders als die besänftigenden Farben von Stefanos oder Andrés’ Auren. Während Elena zusah, zog sich das Rostrot– die Farbe von getrocknetem, altem Blut– um das Gallegelb zusammen und wieder auseinander, ständig pulsierend. Zwei Auren, begriff sie– eine dominierte die andere. Elena spürte, dass sie dringend eingreifen musste.
»I ch kann es sehen«, sagte sie verzweifelt. »E s passiert gerade etwas Schreckliches. Komm mit.«
Sie rannten weiter. Plötzlich beschleunigte Stefano das Tempo, und Elena wusste, dass Stefanos Macht dasselbe erfasst hatte wie sie; jetzt war er es, der sie hinter sich herzog, statt ihr zu folgen.
Ein Vampir presste sein Opfer an einen Baum; die beiden verschmolzen zu einer einzigen, hohen Gestalt. Die pulsierenden Auren umschlangen sie auf beinah Übelkeit erregende Weise. Noch ehe Elena begriff, dass sie ihr Ziel erreicht hatten, riss Stefano bereits den Vampir von seinem Opfer weg und brach ihm mit einer geschickten Handbewegung den Hals. Dann riss er einen Ast vom Baum und durchbohrte ihm die Brust.
Das Opfer des Vampirs, ein junger Mann, fiel mit gedämpftem Aufprall auf Hände und Knie. Fast augenblicklich verlor seine gelbe Aura ihre kränkliche Färbung und verwandelte sich in ein dünnes Grau, als der Mann auf dem Laub in sich zusammensackte.
Elena ließ sich neben ihm auf die Knie fallen und angelte ihre Taschenlampe hervor, um ihn zu untersuchen, während Stefano den Leichnam des Vampirs– ein ehemaliger Vitale-Society-Anwärter– in die Büsche zog. Das Opfer hatte sehr kurzes, schwarzes Haar und war bleich, doch sein Puls ging ebenso regelmäßig wie seine flache Atmung. Blut sickerte aus der Wunde an seinem Hals und Elena zog ihre Jacke aus und benutzte sie als Druckverband.
»I ch denke, er ist okay«, vermeldete sie Stefano, als er neben sie trat.
»G ute Arbeit, Elena«, erwiderte er, dann atmete er tief ein. »A ber irgendwo an ihm fließt immer noch Blut.«
Elena leuchtete mit der Taschenlampe über seinen Körper. Er trug Pyjamahosen und ein T-Shirt und seine Füße waren nackt. Die Fußsohlen bluteten.
»D er Vampir muss ihn mit einem Bann aus seinem Wohnheim gelockt haben«, begriff sie. »D eshalb ist er hier in den Wald gegangen.«
»S ie werden geschickter«, nickte Stefano. »W ir müssen mehr Patrouillen auf dem Campus organisieren. Vielleicht erwischen wir dann einige von ihnen, bevor sie ihre Opfer fangen.«
»D ieses Opfer hier bringen wir aber am besten gleich nach Hause«, erwiderte Elena. Der Schwarzhaarige wimmerte, als Stefano und Elena ihn sanft hochzogen. Das Grau seiner Aura begann, sich mit aufgewühlten Farbstreifen zu füllen, und Elena sah, dass er langsam zu sich kam. »E s ist alles in Ordnung«, murmelte sie besänftigend und spürte einen Hauch von Stefanos Macht, als er begann, leise auf den Studenten einzureden, um ihn auf den Marsch ins Wohnheim vorzubereiten.
Allerdings konnte Elena sich nicht darauf konzentrieren, ihm zu helfen. Ihre Haut juckte und tief in ihrem Innern verspürte sie ein Ziehen. Hier draußen war immer noch etwas. Etwas Böses, ganz in der Nähe. Elena überließ Stefano das volle Gewicht des Studenten, trat zur Seite und sandte ihre Kraft aus, um zu erspüren, in welcher Richtung das Böse lag.
Nichts. Jedenfalls nichts Konkretes– nur diese lastende, schreckliche Gewissheit, dass etwas nicht stimmte. Sie schärfte ihre Sinne für die Suche nach irgendeiner Aura.
Nichts.
»E lena?«, fragte Stefano. Er stützte den Schwarzhaarigen und warf ihr einen fragenden Blick zu.
Elena schüttelte den Kopf. »D a ist irgendetwas«, sagte sie langsam. »A ber ich weiß nicht, wo.« Sie starrte für einen Moment in die Dunkelheit, entdeckte aber immer noch keinen Hinweis darauf, woher das beklemmende Gefühl kam. »F ür heute Nacht sollten wir Schluss machen«, stellte sie schließlich fest.
»B ist du dir sicher?«, fragte Stefano. Als sie nickte, hievte er sich den Studenten auf die Schulter und drehte sich in Richtung Campus um. Bevor Elena ihm folgte, warf sie einen letzten beklommenen Blick zurück. Was immer es war, es schützte sich besser gegen sie und Stefano, als die jungen Vampire es vermochten.
Also war es etwas Altes. Und Böses. War Nicolaus in der Nähe? Wenn er will, kann er mich jeden Moment töten, begriff Elena, und ihr wurde schwindelig vor Panik. Er war so
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