Tagebuch eines Vampirs - Jagd im Morgengrauen
übermenschlichen Anstrengung öffnete Meredith wieder die Augen. Alles war verschwommen, und sie fühlte sich so langsam, als versuche sie, sich unter Wasser zu bewegen.
Cristians Hand entspannte sich auf der Stange. Er war wohl der Meinung, dass sie aufgegeben hatte.
Meredith nahm ihre letzte Kraft zusammen und drückte die Hantelstange hoch, nur weg von sich, und rammte dabei ihren unaufmerksamen Bruder. Sie erhaschte einen Blick auf Cristians erschrockenes, zorniges Gesicht, bevor sie rannte. Sie rannte, so schnell sie konnte; ihre Beine waren schwach, ihr Herz hämmerte und sie rang um Atem. Sie rannte aus dem Kraftraum, aus der Sporthalle und auf den Campus.
Als sie sich ihrem Wohnheim näherte, konnte sie nicht anders, als das Tempo zu drosseln; ihre Beine schmerzten, und ihre Lungen brannten, jetzt da der Adrenalinschub verebbte. Meredith versuchte, sich weiter anzutreiben, aber sie stolperte. Jeden Augenblick konnte Cristian sie packen. Er hätte sie schon längst einholen müssen.
Direkt vor dem Wohnheim nahm sie allen Mut zusammen und fuhr herum. Niemand war hinter ihr. Er hatte beabsichtigt, sie allein und im Geheimen zu töten, und er würde es zweifellos wieder versuchen. Meredith schloss zitternd die Tür auf und taumelte hinein, dann ließ sie sich auf die unterste Stufe der Treppe fallen.
Sie rang immer noch nach Luft und stieß ein ersticktes Schluchzen aus. Meredith hatte ihren Bruder kennenlernen wollen, aber er war bereits verloren; er gehörte jetzt zu Nicolaus’ Familie.
Während sie ihre angespannten Muskeln massierte, begriff Meredith dumpf, was sie würde tun müssen. Sie musste Cristian töten.
Kapitel Dreiunddreissig
Damon leckte sich bedächtig einen Blutspritzer vom Handrücken und lächelte Catarina an. Sie waren kurz nach Tagesanbruch auf ein Pärchen gestoßen, das durch den Wald spazierte, und hatten zusammen getrunken. Inzwischen fiel das Sonnenlicht durch die Bäume und warf schwarze und goldene Schatten auf den Weg. Damon fühlte sich satt und zufrieden, bereit, nach Hause zu gehen und die hellsten Stunden des Tages zu verschlafen. Ein leichtes Unbehagen stieg in ihm auf, als er sich an den panischen Ausdruck auf dem Gesicht seines Opfers erinnerte, und er schob das Bild schnell von sich. Er war schließlich ein Vampir, und tat nur das, was von ihm erwartet wurde.
Catarina tupfte sich sorgfältig die Mundwinkel ab und legte den Kopf schräg, so zierlich und fragend wie ein kleiner Singvogel. »W arum hast du dein Opfer nicht getötet?«, fragte sie.
Damon zuckte abwehrend mit den Achseln. Dann nahm er seine Sonnenbrille aus der Tasche und setzte sie auf. Wenn er ehrlich war, wusste er selbst nicht genau, warum er das Mädchen nicht getötet hatte– warum er überhaupt keines seiner Opfer mehr getötet hatte seit der blonden Joggerin. Er konnte sich daran erinnern, wie gut sich das Töten angefühlt hatte, der Rausch, als er ihr Leben in sich hineinsaugte, aber er war nicht erpicht darauf, diese Erfahrung zu wiederholen. Nicht, wenn der bittere Nachgeschmack Schuld war. Er wollte nichts für seine Opfer empfinden, er wollte das Blut nehmen und gehen. Und wenn das zugleich bedeutete, sie am Leben zu lassen, war das für Damon in Ordnung.
Nichts von alledem sprach er aus, sondern grinste Catarina nur hinter dem Schutz der Sonnenbrille an. »W arum hast du’s nicht getan?«, fragte er.
»O h, wir halten uns alle bedeckt. Zu viele Tote und auf diesem Campus hier bricht wieder Panik aus. Nicolaus will, dass die Menschen glücklich sind und leicht zu jagen, während er deinem Mädchen und ihren Freunden den Rest gibt.« Catarina beäugte Damon und strich sich das lange goldene Haar glatt, aber Damon bewahrte seine ausdruckslose Miene. Was immer Catarina von ihm wollte, sie würde es bestimmt nicht bekommen, indem sie die Rede auf Elena brachte.
»N atürlich«, sagte Damon und fügte hinzu: »W eißt du, du bist viel vernünftiger und praktischer, seitdem du den Tod überwunden hast, meine Liebe.« Catarina sah ihn an und grinste, sodass sich Grübchen auf ihren Wangen bildeten, dann täuschte sie einen spöttischen, anmutigen Knicks an.
Sie gingen friedlich nebeneinander her und lauschten auf das Zirpen und die Rufe der Spatzen, Finken und Rotkehlchen über ihnen. Das schnelle Klopfen eines Spechts erklang ein Stückchen entfernt und Damon konnte das Rascheln und Knacken kleiner, pelziger Kreaturen im Unterholz hören. Er räkelte sich genüsslich und dachte an sein
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