Tagebuch für Nikolas
auseinander, indem ich sie mit ihrem Alter bezeichne. »Schläft Zwei schon?« - »Ist das Vier da draußen auf der Schaukel?« - »Ich denke, dass müsste Drei passen.«
Die Bones kichern immer, wenn ich das tue; sie finden es so albern, dass sie Gus ehrenhalber die Nummer Fünf gegeben haben.
Das nächste Mal werde ich dir von meiner letzten Verabredung mit Matt schreiben. Ich war zu einer Party in seinem Haus eingeladen.
Hallo, kleiner Mann!
Heute möchte ich dir von der Party bei Matt erzählen. Sein Haus am Rand von Vineyard Haven ist schön, geschmackvoll, imponierend und sehr teuer. Ich bin beeindruckt, das muss ich schon sagen. Als ich mich umschaue und die Gäste betrachte, erkenne ich rasch, dass die Frauen und Männer, sogar die Kinder, zu einer einzigen Bevölkerungsgruppe gehören: zu den Erfolgreichen. Dies ist Matts Welt. Es ist beinahe so, als wären die gesamte Upper East Side und Upper West Side von New York, ein paar Mitglieder der Studentenvereinigung TriBeCa und ganz SoHo nach Vineyard verpflanzt worden. Auf jeder Etage plaudern die Partygäste, und von den gepflasterten Gehwegen und aus den prachtvoll möblierten Zimmern öffnen sich einem unendliche Ausblicke übers Meer.
Das Haus passt eindeutig nicht zu mir, aber ich weiß seine Schönheit dennoch zu schätzen, und ich erkenne die Liebe, die hineingesteckt wurde, um das Haus zu dem zu machen, was es ist.
Matt nahm meinen Arm und stellte mich seinen Freunden vor, doch ich fühlte mich fehl am Platze. Warum, weiß ich nicht genau. In Boston hatte ich an mehr als genug gesellschaftlichen Veranstaltungen dieser Art teilgenommen. An den Eröffnungen neuer Krankenhausstationen zum Beispiel, bei denen von irgendwelchen Honoratioren feierlich Bänder durchgeschnitten wurden, an großen und kleinen Cocktailempfängen und endlosen Einladungen aus allen möglichen Anlässen und von allen möglichen Leuten der Bostoner Society.
Diesmal jedoch fühlte ich mich unwohl, wollte es Matt aber nicht sagen, um ihm nicht den Abend zu verderben. Auf Martha’s Vineyard hatte ich mich eher auf Häuslichkeit und Stille konzentriert: Gemüse anpflanzen, Fensterläden anbringen, den Boden der Veranda wetterfest machen …
In einem verrückten Moment blickte ich tatsächlich auf meine Hände, um zu sehen, ob ich die weiße Farbe heruntergekriegt hatte, bevor ich gekommen war.
Du weißt, wie es war, Nick? Manchmal, wenn wir zusammen sind, wir ganz allein, spreche ich Nicky-‘]alle mit dir. Das ist die besondere Sprache aus erfundenen Wörtern, seltsamen, lustigen Geräuschen und anderen nicht entzifferbaren Codes und Signalen, die nur wir beide verstehen.
Dann kommt ein Erwachsener durch die Tür - oder wir müssen zum Markt gehen oder etwas in der Art -, und ich schwöre dir, ich habe vergessen, wie ein Erwachsener zu sprechen.
Genauso habe ich mich auf dieser Party gefühlt. Ich hatte zu viel Zeit in Arbeitsstiefeln und farbverschmierten Overalls verbracht; ich war nicht auf derselben Wellenlänge wie diese Leute. Und mir gefiel der neue Rhythmus, den ich mir gerade schuf: leicht, einfach und unkompliziert.
Während ich mich durch die Geräuschkulisse aus Smalltalk und klingenden Kristallgläsern treiben ließ, drang eine dünne Stimme zu mir durch, eine Kinderstimme.
Ich beugte mich hinunter. »Was ist passiert?«, fragte ich. »Alles in Ordnung, mein Kleiner?«
»Ich bin hingefallen«, schluchzte er. »Guck mal!« Und als ich nach unten schaute, entdeckte ich, dass sein Knie eine böse Schramme hatte. Es blutete sogar ein wenig.
»Wie konnte er wissen, dass du Ärztin bist, Suzanne?«, fragte Matt.
»Kinder wissen so was«, entgegnete ich. »Ich nehme ihn mit hinein und versorge sein Knie. Ich hatte mein weißes Kleid eigentlich für etwas Elegantes und Schickes gehalten, aber für ihn hat es offenbar wie ein Ärztekittel ausgesehen.«
Ich streckte die Hand aus, und der kleine Junge nahm sie. Er erzählte mir, dass er Jack Brandon hieß. Er war der Sohn von George und Lillian Brandon, die ebenfalls auf der Party waren. Er erklärte auf sehr erwachsene Art, dass sein Kindermädchen krank sei und seine Eltern ihn mitbringen mussten.
Als der kleine Jack und ich durch die Hintertür gingen, kam eine besorgt blickende Frau auf uns zu.
»Was ist mit meinem Sohn passiert?«, fragte sie und schien ziemlich außer Fassung zu sein.
»Jack ist hingefallen. Wir wollten gerade nach Verbandszeug suchen«, erklärte Matt.
»Es ist nicht schlimm«, sagte ich.
Weitere Kostenlose Bücher