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Tagebuch (German Edition)

Tagebuch (German Edition)

Titel: Tagebuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Frank
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werfen und ist jetzt so lieb zu mir, als ob er etwas falsch gemacht hätte. Nein, Anne, du musst noch schrecklich viel lernen. Fange erst mal wieder damit an, statt auf andere hinunterzuschauen und andere zu beschuldigen!
    Ich habe viel Kummer gehabt, aber hat das nicht jeder in meinem Alter? Ich habe viel Komödie gespielt, aber ich war mir dessen noch nicht mal bewusst. Ich fühlte mich einsam, war aber fast nie verzweifelt. Ich muss mich tief schämen, und ich schäme mich tief.
    Geschehen ist geschehen, aber man kann Weiteres verhindern. Ich will wieder von vorn anfangen, und es kann nicht schwer sein, da ich jetzt Peter habe. Mit ihm als Unterstützung kann ich es. Ich bin nicht mehr allein, er liebt mich, ich liebe ihn, ich habe meine Bücher, mein Geschichtenbuch, mein Tagebuch, ich bin nicht besonders hässlich, nicht besonders dumm, habe eine fröhliche Natur und will einen guten Charakter bekommen. Ja, Anne, du hast sehr gut gefühlt, dass dein Brief zu hart und unwahr war, aber du warst noch stolz darauf. Ich will mir Vater wieder zum Vorbild nehmen, und ich werde mich bessern.
    Deine Anne M. Frank

Montag, 8. Mai 1944
    Liebe Kitty!
    Habe ich dir eigentlich schon mal was von unserer Familie erzählt? Ich glaube nicht, und deshalb werde ich sofort damit anfangen. Vater wurde in Frankfurt geboren, als Sohn steinreicher Eltern. Michael Frank hatte eine Bank und war Millionär geworden, und Alice Stern, Vaters Mutter, war von sehr vornehmen und reichen Eltern. Michael Frank war in seiner Jugend nicht reich gewesen, hat sich aber ordentlich hochgearbeitet. Vater führte in seiner Jugend ein richtiges Reicher-Eltern-Sohn-Leben, jede Woche Partys, Bälle, Feste, schöne Mädchen, Tanzen, Diners, viele Zimmer und so weiter. All das Geld ging nach Opas Tod verloren, nach dem Weltkrieg und der Inflation war nichts mehr davon übrig. Aber es gab noch genug reiche Verwandte. Vater ist folglich prima-prima erzogen worden und musste gestern schrecklich lachen, weil er das erste Mal in seinem 55-jährigen Leben bei Tisch die Bratpfanne ausgekratzt hat.
    Mutter war nicht so reich, aber doch auch ganz wohlhabend, und deshalb hören wir oft mit offenem Mund die Geschichten von Verlobungen mit 250 Gästen, von privaten Bällen und Diners.
    Reich kann man uns auf keinen Fall mehr nennen, aber meine Hoffnung richtet sich auf die Zeit nach dem Krieg. Ich versichere dir, dass ich keinesfalls auf ein so beschränktes Leben aus bin, wie Mutter und Margot sich das wünschen. Ich würde gern ein Jahr nach Paris und ein Jahr nach London gehen, um Sprachen zu lernen und Kunstgeschichte zu studieren. Vergleich das mal mit Margot, die Säuglingsschwester in Palästina werden will. Ich male mir immer schöne Kleider und interessante Menschen aus. Ich will etwas sehen und erleben in der Welt, das habe ich dir schon öfter gesagt, und ein bisschen Geld kann dabei nicht schaden!

    Miep hat heute Morgen von der Verlobung ihrer Nichte erzählt, wo sie am Samstag war. Die Nichte ist eine Tochter reicher Eltern, der Bräutigam hat noch reichere Eltern. Miep machte uns den Mund wässrig mit der Beschreibung des Essens, das sie bekamen: Gemüsesuppe mit Fleischklößchen, Käse, Brötchen mit Hackfleisch, Hors-d’œuvres mit Eiern und Roastbeef, Käsebrötchen, Moskauer Gebäck, Wein und Zigaretten, und von allem so viel, wie man wollte. Miep hat zehn Gläser Schnaps getrunken und drei Zigaretten geraucht. Ist das die Antialkoholikerin? Wenn Miep schon soviel getrunken hat, wie viel wird sich ihr Gatte dann hinter die Binde gegossen haben? Sie waren natürlich alle etwas angeheitert. Unter den Gästen waren auch zwei Polizisten von der Mordkommission, die Fotos von dem Paar gemacht haben. Du siehst, dass Miep ihre Versteckten keine Minute vergisst, denn sie hat sich gleich Namen und Adresse von diesen Leuten notiert, für den Fall, dass etwas passiert und man gute Niederländer nötig hat.
    Sie hat uns wirklich den Mund wässrig gemacht, uns, die wir zum Frühstück nur zwei Löffel Brei bekommen haben, denen die Mägen knurren vor Hunger, die wir tagein, tagaus nichts bekommen als halbrohen Spinat (wegen der Vitamine) und angefaulte Kartoffeln, die wir in unseren leeren Magen nichts anderes als Salat, Kochsalat, Spinat und noch mal Spinat stopfen. Vielleicht werden wir noch mal so stark wie Popeye, obwohl ich davon noch nicht viel merke!
    Wenn Miep uns zu dieser Verlobung mitgenommen hätte, dann wäre von den Brötchen nichts für die

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