Tagebuch (German Edition)
so sein, so können wir eine Mahlzeit einsparen. Gemüse ist immer noch schwer zu bekommen. Heute Mittag hatten wir fauligen Kochsalat. Es gibt nur Salat, Spinat und Kochsalat, sonst nichts. Dazu noch angefaulte Kartoffeln, also eine herrliche Zusammenstellung!
Seit mehr als zwei Monaten hatte ich meine Periode nicht mehr, seit Sonntag ist es endlich wieder soweit. Trotz der Unannehmlichkeiten und der Umstände bin ich doch froh, dass es mich nicht länger im Stich gelassen hat.
Du kannst dir sicher denken, wie oft hier verzweifelt gefragt wird: »Wofür, oh, wofür nützt nun dieser Krieg? Warum können die Menschen nicht friedlich miteinander leben? Warum muss alles verwüstet werden?«
Diese Frage ist verständlich, aber eine entscheidende Antwort hat bis jetzt noch niemand gefunden. Ja, warum bauen sie in England immer größere Flugzeuge, immer schwerere Bomben und gleichzeitig Einheitshäuser für den Wiederaufbau? Warum gibt man jeden Tag Millionen für den Krieg aus und keinen Cent für die Heilkunde, für die Künstler, für die Armen? Warum müssen die Leute hungern, wenn in anderen Teilen der Welt die überflüssige Nahrung wegfault? Warum sind die Menschen so verrückt?
Ich glaube nicht, dass der Krieg nur von den Großen, von den Regierenden und Kapitalisten gemacht wird. Nein, der kleine Mann ist ebenso dafür. Sonst hätten sich die Völker doch schon längst dagegen erhoben! Im Menschen ist nun mal ein Drang zur Vernichtung, ein Drang zum Totschlagen, zum Morden und Wüten, und solange die ganze Menschheit, ohne Ausnahme, keine Metamorphose durchläuft, wird Krieg wüten, wird alles, was gebaut, gepflegt und gewachsen ist, wieder abgeschnitten und vernichtet, und dann fängt es wieder von vorn an.
Ich bin oft niedergeschlagen gewesen, aber nie verzweifelt. Ich betrachte dieses Verstecken als ein gefährliches Abenteuer, das romantisch und interessant ist. Ich beschreibe jede Entbehrung in meinem Tagebuch wie eine Unterhaltung. Ich habe mir nun mal vorgenommen, dass ich ein anderes Leben führen werde als andere Mädchen und später ein anderes Leben als normale Hausfrauen. Das ist ein passender Anfang mit viel Interessantem, und darum, nur darum muss ich in den gefährlichsten Augenblicken über die komische Situation lachen.
Ich bin jung und habe noch viele verborgene Eigenschaften. Ich bin jung und stark und erlebe das große Abenteuer, sitze mittendrin und kann nicht den ganzen Tag klagen, weil ich mich amüsieren muss! Ich habe viel mitbekommen, eine glückliche Natur, viel Fröhlichkeit und Kraft. Jeden Tag fühle ich, wie mein Inneres wächst, wie die Befreiung naht, wie schön die Natur ist, wie gut die Menschen in meiner Umgebung, wie interessant und amüsant dieses Abenteuer. Warum sollte ich dann verzweifelt sein?
Deine Anne M. Frank
Freitag, 5. Mai 1944
Beste Kitty!
Vater ist unzufrieden mit mir. Er dachte, dass ich nach unserem Gespräch vom Sonntag von selbst nicht mehr jeden Abend nach oben gehen würde. Er will die »Knutscherei« nicht haben. Das Wort konnte ich nicht hören. Es war schon unangenehm genug, darüber zu sprechen, warum muss er mich nun auch noch so schlecht machen! Ich werde heute mit ihm reden. Margot hat mir einen guten Rat gegeben. Hör mal, was ich ungefähr sagen will:
»Ich glaube, Vater, dass du eine Erklärung von mir erwartest, ich will sie dir geben. Du bist enttäuscht von mir, du hattest mehr Zurückhaltung von mir erwartet. Du willst sicher, dass ich so bin, wie eine Vierzehnjährige zu sein hat, und darin irrst du dich.
Seit wir hier sind, seit Juli 1942, hatte ich es bis vor ein paar Wochen nicht einfach. Wenn du wüsstest, wie oft ich abends geweint habe, wie verzweifelt und unglücklich ich war, wie einsam ich mich fühlte, dann würdest du verstehen, dass ich nach oben will. Ich habe es nicht von einem auf den anderen Tag geschafft, so weit zu kommen, dass ich ohne Mutter und ohne die Unterstützung von jemand anderem leben kann. Es hat mich viel, viel Kampf und Tränen gekostet, so selbstständig zu werden, wie ich es jetzt bin. Du kannst lachen und mir nicht glauben, es macht mir nichts. Ich weiß, dass ich ein eigenständiger Mensch bin, und ich fühle mich euch gegenüber absolut nicht verantwortlich. Ich habe dir dies nur erzählt, weil du sonst glauben könntest, ich verheimliche etwas. Aber für meine Handlungen muss ich mich nur vor mir selbst verantworten.
Als ich Schwierigkeiten hatte, habt ihr, auch du, die Augen zugemacht und
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