Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tagebuch (German Edition)

Tagebuch (German Edition)

Titel: Tagebuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Frank
Vom Netzwerk:
die Ohren verstopft. Du hast mir nicht geholfen, im Gegenteil, nur Ermahnungen habe ich bekommen, dass ich nicht so lärmend sein sollte. Ich war nur lärmend, um nicht immer traurig zu sein. Ich war übermütig, um meine innere Stimme nicht zu hören. Ich habe Komödie gespielt, anderthalb Jahre lang, tagein, tagaus. Ich habe nicht geklagt und bin nicht aus der Rolle gefallen, nichts von alledem, und jetzt habe ich mich durchgekämpft. Ich habe gesiegt. Ich bin selbstständig an Leib und Geist. Ich habe keine Mutter mehr nötig, ich bin durch all die Kämpfe stark geworden.
    Nun, da ich es geschafft habe, will ich auch meinen eigenen Weg gehen, den Weg, den ich für richtig halte. Du kannst und darfst mich nicht wie eine Vierzehnjährige betrachten, ich bin durch alle Schwierigkeiten älter geworden. Ich werde meine Taten nicht bedauern, ich werde handeln, wie ich es richtig finde!
    Du kannst mich nicht sanft von oben fern halten. Entweder du verbietest mir alles, oder du vertraust mir durch dick und dünn! Nur lass mich dann auch in Ruhe!«
    Deine Anne M. Frank

Samstag, 6. Mai 1944
    Liebe Kitty!
    Gestern vor dem Essen habe ich meinen Brief in Vaters Tasche gesteckt. Nach dem Lesen war er den ganzen Abend durcheinander, hat Margot gesagt (ich war oben beim Spülen). Armer Pim, ich hätte wissen müssen, welche Wirkung diese Epistel haben würde. Er ist so empfindsam! Sofort habe ich zu Peter gesagt, dass er nichts mehr fragen oder sagen solle. Pim hat kein Wort zu mir gesagt. Ob es noch kommt? Hier geht’s wieder so einigermaßen. Was Jan, Kugler und Kleiman von den Menschen und den Preisen draußen erzählen, ist kaum zu glauben. Ein halbes Pfund Tee kostet 350 Gulden, ein halbes Pfund Kaffee 80 Gulden, Butter 35 Gulden das Pfund, ein Ei 1.45 Gulden. Für bulgarischen Tabak werden 14 Gulden je Unze bezahlt! Jeder treibt Schwarzhandel, jeder Laufjunge bietet etwas an. Unser Bäckerjunge hat Stopfseide besorgt, 90 Cent für ein dünnes Strängchen. Der Milchmann kommt an illegale Lebensmittelkarten, ein Beerdigungsunternehmen besorgt Käse. Jeden Tag wird eingebrochen, ermordet, gestohlen. Polizisten und Nachtwächter sind ebenso beteiligt wie Berufsdiebe. Jeder will etwas in den Bauch bekommen. Und da Gehaltserhöhungen verboten sind, müssen die Leute wohl oder übel schwindeln. Die Jugendpolizei ist dauernd beschäftigt. Junge Mädchen von fünfzehn, sechzehn, siebzehn, achtzehn Jahren und älter werden jeden Tag vermisst.
    Ich will versuchen, die Geschichte von der Fee Ellen fertig zu machen. Zum Spaß könnte ich sie Vater zum Geburtstag schenken, mit allen Urheberrechten. Auf Wiedersehen (das ist eigentlich falsch, bei der deutschen Sendung aus England sagen sie »auf Wiederhören«, ich müsste also schreiben »auf Wiederschreiben«).
    Deine Anne M. Frank

Sonntagmorgen, 7. Mai 1944
    Liebe Kitty!
    Vater und ich haben gestern Nachmittag ein langes Gespräch gehabt. Ich musste schrecklich weinen, und er auch. Weißt du, was er zu mir gesagt hat, Kitty?
    »Ich habe schon viele Briefe in meinem Leben bekommen, aber dieser ist der hässlichste. Du, Anne, die du so viel Liebe von deinen Eltern empfangen hast, von Eltern, die immer für dich bereit stehen, die dich immer verteidigt haben, was auch war, du sprichst davon, keine Verantwortung zu fühlen. Du fühlst dich zurückgesetzt und allein gelassen. Nein, Anne, das war ein großes Unrecht, das du uns angetan hast. Vielleicht hast du es nicht so gemeint, aber so hast du es geschrieben. Nein, Anne, einen solchen Vorwurf haben wir nicht verdient!«
    Ach, ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht. Das ist wohl das Schlimmste, was ich in meinem Leben getan habe. Ich wollte nur angeben mit meinem Weinen und meinen Tränen, mich nur aufspielen, damit er Respekt vor mir hat. Sicher, ich habe viel Kummer gehabt, und was Mutter betrifft, ist alles wahr. Aber den guten Pim so zu beschuldigen, ihn, der alles für mich getan hat und noch für mich tut, nein, das war mehr als gemein.
    Es ist ganz gut, dass ich mal aus meiner unerreichbaren Höhe heruntergeholt worden bin, dass mein Stolz mal angeknackst worden ist. Ich war wieder viel zu eingenommen von mir selbst. Was Fräulein Anne tut, ist längst nicht immer richtig! Jemand, der einem anderen, den er zu lieben behauptet, einen solchen Kummer zufügt, und das auch noch vorsätzlich, ist niedrig, sehr niedrig!
    Am meisten schäme ich mich über die Art, in der Vater mir vergeben hat. Er wird den Brief in den Ofen

Weitere Kostenlose Bücher