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Tagebuch (German Edition)

Tagebuch (German Edition)

Titel: Tagebuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Frank
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geschlagen und gepeinigt, bis sie fast zusammenbrechen. Niemand wird geschont. Alte, Kinder, Babys, schwangere Frauen, Kranke … alles, alles geht mit in dem Zug zum Tod.
    Wie gut haben wir es hier, wie gut und ruhig. Wir brauchten uns aus dem ganzen Elend nichts zu machen, wenn wir nicht so viel Angst um all jene hätten, die uns teuer sind und denen wir nicht helfen können. Ich fühle mich schlecht, weil ich in einem warmen Bett liege, während meine liebsten Freundinnen irgendwo draußen niedergeworfen werden oder zusammenbrechen.
    Ich bekomme selbst Angst, wenn ich an alle denke, mit denen ich mich draußen immer so eng verbunden fühlte und die nun den Händen der brutalsten Henker ausgeliefert sind, die es jemals gegeben hat.
    Und das alles, weil sie Juden sind.
    Deine Anne

Freitag, 20. November 1942
    Liebe Kitty!
    Wir wissen nicht, wie wir uns verhalten sollen. Bis jetzt ist von den Berichten über die Juden nie viel zu uns durchgedrungen, und wir haben es vorgezogen, so heiter wie möglich zu bleiben. Wenn Miep ab und zu mal etwas über das schreckliche Los eines Bekannten erzählte, fingen Mutter oder Frau van Daan immer an zu weinen, sodass Miep lieber gar nichts mehr sagte. Aber Dussel wurde sofort mit Fragen bestürmt, und die Geschichten, die er erzählte, waren so grauenhaft und barbarisch, dass es nicht zu einem Ohr rein und zum anderen wieder rausgeht. Trotzdem werden wir, wenn die Berichte ein bisschen gesackt sind, wohl wieder Witze machen und uns necken. Es hilft uns und denen da draußen nicht, wenn wir so bedrückt bleiben, wie wir es im Augenblick sind, und was hat es für einen Sinn, aus dem Hinterhaus ein melancholisches Hinterhaus zu machen?
    Bei allem, was ich tue, muss ich an die anderen denken, die weg sind. Und wenn ich wegen etwas lachen muss, höre ich erschrocken wieder auf und denke mir, dass es eine Schande ist, so fröhlich zu sein. Aber muss ich denn den ganzen Tag weinen? Nein, das kann ich nicht, und sie wird wohl auch wieder vorbeigehen, diese Niedergeschlagenheit.
    Zu all diesem Traurigen kommt noch etwas anderes, das persönlicher Art ist und neben dem eben erzählten Elend ins Nichts verschwindet. Trotzdem muss ich dir erzählen, dass ich mich in der letzten Zeit immer verlassener fühle. Um mich herum ist eine große Leere. Früher dachte ich darüber nie nach, Vergnügungen und Freundinnen erfüllten mein Denken. Nun denke ich oft über unglückliche Dinge oder mich selbst nach. Und ich bin schließlich zu der Überzeugung gekommen, dass Vater, wie lieb er auch ist, mir doch nicht meine frühere Welt ersetzen kann. Mutter und Margot zählen in meinen Gefühlen schon lange nicht mehr mit.
    Aber warum falle ich dir mit solchen dummen Dingen zur Last? Ich bin so schrecklich undankbar, Kitty, ich weiß es ja. Aber mir wird oft schwindlig, wenn ich zu viel abbekomme und dann noch an all das andere Schlimme denken muss!
    Deine Anne
     

Samstag, 28. November 1942
    Liebe Kitty!
    Wir haben zu viel Licht verbraucht und unsere Elektrizitätsration überschritten. Die Folge: übertriebene Sparsamkeit und eine drohende Abschaltung. Vierzehn Tage kein Licht, hübsch, gell? Aber wer weiß, vielleicht geht es ja gut! Ab vier oder halb fünf Uhr ist es zu dunkel, um zu lesen. Wir verkürzen uns die Zeit mit allerlei verrückten Sachen. Rätsel aufgeben, Gymnastik im Dunkeln machen, Englisch oder Französisch sprechen, Bücher kritisieren – das alles langweilt auf die Dauer. Gestern Abend habe ich etwas Neues entdeckt, und zwar: mit einem scharfen Fernglas in die erleuchteten Zimmer der hinteren Nachbarn zu spähen. Tagsüber dürfen die Vorhänge niemals einen einzigen Zentimeter zur Seite geschoben werden, aber wenn es dunkel ist, kann das nicht schaden.
    Ich wusste früher nie, dass Nachbarn so interessante Menschen sein können, jedenfalls unsere. Einige habe ich bei der Mahlzeit angetroffen, bei einer Familie wurde ein Film vorgeführt, und der Zahnarzt gegenüber hatte eine alte, ängstliche Dame in Behandlung.
    Herr Dussel, der Mann, von dem immer gesagt wurde, dass er hervorragend mit Kindern zurechtkäme und sie auch gern hätte, entpuppt sich als der altmodischste Erzieher und Prediger von ellenlangen Manierenreihen. Da ich das seltene Glück (!) habe, mit dem hochedelwohlerzogenen Herrn mein leider sehr enges Zimmer teilen zu dürfen, und da ich allgemein als die am schlechtesten Erzogene der drei Jugendlichen gelte, habe ich ziemlich zu tun, um den allzu häufig

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