Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tagebuch (German Edition)

Tagebuch (German Edition)

Titel: Tagebuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Frank
Vom Netzwerk:
Schiffe und den Regen. Ich höre die Straßenbahn und die Kinder und amüsiere mich.
    Unsere Gedanken haben genauso wenig Abwechslung wie wir selbst. Wie bei einem Karussell dreht sich alles von den Juden zum Essen, vom Essen zur Politik. Apropos Juden, gestern habe ich, als wäre es ein Weltwunder, durch den Vorhang zwei Juden gesehen. Das war ein seltsames Gefühl, als hätte ich die Menschen verraten und würde nun heimlich ihr Unglück betrachten.
    Direkt gegenüber liegt ein Hausboot, auf dem ein Schiffer mit Frau und Kindern lebt. Der Mann hat einen kleinen Kläffer, den wir nur vom Bellen kennen und von seinem Schwanz, den man sieht, wenn er am Bootsrand entlangläuft.
    Bah, jetzt hat es angefangen zu regnen, und die meisten Leute haben sich unter ihren Schirmen versteckt. Ich sehe nur noch Regenmäntel und manchmal einen bemützten Hinterkopf. Eigentlich brauche ich auch nicht mehr zu sehen. So allmählich kenne ich die Frauen auswendig, aufgeschwemmt von zu viel Kartoffeln, mit einem roten oder grünen Mantel und abgetretenen Absätzen, einer Tasche am Arm und mit einem grimmigen oder gutmütigen Gesicht, je nach der Laune ihres Mannes.
    Deine Anne

Dienstag, 22. Dezember 1942
    Liebe Kitty!
    Das Hinterhaus hat mit Freude vernommen, dass jeder zu Weihnachten ein viertel Pfund Butter extra bekommt. In der Zeitung steht zwar ein halbes Pfund, aber das gilt nur für die glücklichen Sterblichen, die ihre Lebensmittelkarten vom Staat bekommen, nicht für untergetauchte Juden, die, weil der Preis so hoch ist, nur vier statt acht Karten illegal kaufen können. Wir wollen alle etwas backen mit dieser Butter. Ich habe heute Morgen Plätzchen und zwei Torten gemacht. Oben gibt es viel Arbeit, und Mutter hat verboten, dass ich lerne oder lese, bevor die ganze Hausarbeit erledigt ist.
    Frau van Daan liegt mit ihrer gequetschten Rippe im Bett, klagt den ganzen Tag, lässt sich ständig neue Verbände anlegen und ist mit nichts zufrieden. Ich werde froh sein, wenn sie wieder auf ihren beiden Beinen steht und ihren Kram selbst macht. Denn das muss man sagen, sie ist außergewöhnlich fleißig und ordentlich, und solange sie sich körperlich und geistig in einem guten Zustand befindet, auch fröhlich.
    Als ob ich tagsüber nicht schon genug »pst, pst« zu hören bekomme, weil ich immer zu viel Lärm mache, ist mein Herr Zimmergenosse nun auf die Idee gekommen, mir auch nachts wiederholt »pst, pst« zuzurufen. Ich dürfte mich, wenn es nach ihm ginge, noch nicht mal umdrehen. Ich denke nicht daran, das zu beachten, und das nächste Mal rufe ich einfach auch »pst«.
    Er wird von Tag zu Tag unangenehmer und egoistischer. Von den freigiebig versprochenen Plätzchen habe ich nach der ersten Woche kein Stück mehr gesehen. Vor allem sonntags macht er mich wütend, wenn er so früh das Licht anmacht und mit seinen zehn Minuten Gymnastik anfängt.
    Mir armen Geplagten kommt es wie Stunden vor, denn die Stühle, mit denen mein Bett verlängert ist, schieben sich ständig unter meinem schläfrigen Kopf hin und her. Nachdem er mit ein paar heftigen Armschwüngen seine Gelenkigkeitsübungen beendet hat, beginnt der Herr mit seiner Toilette. Die Unterhose hängt am Haken, also erst dorthin, dann wieder zurück. Die Krawatte liegt auf dem Tisch, also wieder schiebend und stoßend an meinen Stühlen vorbei und auf die gleiche Art zurück.
    Aber ich will dich nicht mit Gejammer über alte, unangenehme Herren aufhalten, es wird doch nicht besser davon. Und alle meine Rachepläne (Birnen ausschrauben, Tür abschließen, Kleider verstecken) muss ich um des lieben Friedens willen leider unterlassen.
    Ach, ich werde ja so vernünftig! Alles muss hier mit Vernunft geschehen, lernen, zuhören, Mund halten, helfen, lieb sein, nachgeben und was weiß ich noch alles! Ich habe Angst, dass ich meinen Vorrat an Vernunft, der ohnehin nicht besonders groß ist, viel zu schnell verbrauche und für die Nachkriegszeit nichts mehr übrig behalte.
    Deine Anne

Mittwoch, 13. Januar 1943
    Liebe Kitty!
    Heute Morgen war ich wieder ganz verstört und konnte nicht ordentlich arbeiten.
    Wir haben eine neue Beschäftigung, nämlich Päckchen mit Bratensoße (in Pulverform) abfüllen. Diese Bratensoße ist ein Fabrikat der Firma Gies & Co. Herr Kugler kann keine Abfüller finden, und wenn wir es machen, ist es auch viel billiger. Es ist eine Arbeit, wie sie von Leuten im Gefängnis gemacht werden muss. Sie ist seltsam langweilig, und man wird ganz schwindlig und

Weitere Kostenlose Bücher