Tagebuch (German Edition)
Politik. Aber er sagt uns doch voraus, dass wir uns noch bis Ende 43 hier aufhalten müssen. Das ist zwar sehr lange, wird aber trotzdem auszuhalten sein. Doch wer gibt uns die Zusicherung, dass dieser Krieg, der jedem nur Leid und Kummer bereitet, dann vorbei sein wird? Und wer kann uns versprechen, dass bis dahin weder mit uns noch mit unseren Helfern nicht längst was passiert ist? Doch niemand! Und darum leben wir auch jeden Tag in Anspannung. Einer Anspannung von Erwartung und Hoffnung, aber auch von Angst, wenn man im Haus oder draußen Geräusche hört, wenn geschossen wird oder wenn neue »Bekanntmachungen« in der Zeitung stehen. Es könnte auch jeden Tag passieren, dass einige von unseren Helfern sich selbst hier verstecken müssen. Untertauchen ist ein ganz normales Wort geworden. Wie viele Menschen werden sich wohl verstecken? Im Verhältnis natürlich nicht viel, aber trotzdem werden wir später bestimmt staunen, wie viele gute Menschen es in den Niederlanden gegeben hat, die Juden oder auch geflohene Christen mit oder ohne Geld zu sich genommen haben. Es ist auch unglaublich, von wie vielen Leuten man hört, die einen falschen Personalausweis haben.
Frau van Daan: Als diese schöne Dame (nur ihrer eigenen Meinung nach) hörte, dass es nicht mehr so schwierig ist wie früher, an einen falschen Personalausweis zu kommen, schlug sie sofort vor, für uns alle welche machen zu lassen. Als ob das nichts wäre und das Geld bei Vater und Herrn van Daan auf dem Rücken wächst!
Während Frau van Daan immer größeren Unsinn behauptet, geht Putti oft in die Luft. Das kann er auch leicht, denn den einen Tag sagt seine Kerli: »Ich lasse mich später taufen!« Und am nächsten Tag heißt es: »Ich wollte schon immer nach Jerusalem, denn ich fühle mich nur unter Juden heimisch.«
Pim ist ein großer Optimist, aber er kann immer einen Grund dafür angeben.
Herr Dussel denkt ins Blaue hinein, und wenn jemand seiner Hoheit widerspricht, dann kommt er schlecht weg. Ich glaube, bei Herrn Albert Dussel zu Hause ist alles, was er sagt, Gesetz. Aber Anne Frank paßt solches ganz und gar nicht!
Was die anderen Mitglieder des Hinterhauses über den Krieg denken, ist nicht interessant. Nur diese vier zählen in der Politik, eigentlich nur zwei, aber Madame van Daan und Herr Dussel zählen sich auch dazu.
Dienstag, 18. Mai 1943
Liebe Kit!
Ich war Zuschauerin bei einem schweren Luftgefecht zwischen deutschen und englischen Fliegern. Ein paar Alliierte mussten leider Gottes aus ihren brennenden Maschinen springen. Unser Milchmann, der in Halfweg wohnt, hat am Straßenrand vier Kanadier sitzen sehen, von denen einer fließend Holländisch sprach. Er bat den Milchmann um Feuer für eine Zigarette und erzählte, dass die Besatzung der Maschine aus sechs Personen bestanden hätte. Der Pilot war verbrannt, und der fünfte Mann hatte sich irgendwo versteckt. Die grüne Polizei hat die vier kerngesunden Männer später abholen lassen. Wie ist es möglich, dass man nach einem so gewaltigen Fallschirmabsprung noch so bei Sinnen ist!
Obwohl es so warm ist, müssen wir jeden zweiten Tag unsere Öfen anmachen, um Gemüseabfälle und Schmutz zu verbrennen. In den Mülleimer können wir nichts werfen, weil wir immer mit den Lagerarbeitern rechnen müssen. Wie leicht verrät man sich durch eine kleine Unvorsichtigkeit!
Alle Studenten sollen auf einer Liste unterschreiben, dass sie »mit allen Deutschen sympathisieren und der neuen Ordnung gut gesonnen« sind. Achtzig Prozent haben ihr Gewissen und ihre Überzeugung nicht verleugnet, doch die Folgen sind nicht ausgeblieben. Alle Studenten, die nicht unterzeichnet haben, müssen nach Deutschland in ein Arbeitslager. Was bleibt von der niederländischen Jugend noch übrig, wenn alle in Deutschland hart arbeiten müssen?
Wegen der lauten Schießerei hat Mutter heute Nacht das Fenster geschlossen. Ich war in Pims Bett. Plötzlich sprang über unserem Kopf Frau van Daan aus ihrem Bett, wie von Mouschi gebissen, und gleich darauf hörten wir einen lauten Schlag. Es klang, als sei eine Brandbombe direkt neben meinem Bett eingeschlagen. Ich schrie: »Licht! Licht!«
Pim knipste die Lampe an, und ich erwartete, das Zimmer würde in wenigen Minuten lichterloh brennen. Nichts geschah. Wir rannten hinauf, um zu sehen, was dort los war. Herr und Frau van Daan hatten durch das offene Fenster eine rötliche Glut gesehen. Herr van Daan glaubte, dass es in der Nachbarschaft brannte, und Frau van
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