Tagebuch (German Edition)
Daan dachte, dass unser Haus bereits Feuer gefangen hätte. Bei dem Schlag, der folgte, stand die Dame schon auf ihren zitternden Beinen. Dussel blieb oben und rauchte eine Zigarette, wir legten uns wieder in unsere Betten. Es war noch keine Viertelstunde vergangen, da begann die Schießerei erneut. Frau van Daan stand sofort auf und ging die Treppe hinunter in Dussels Zimmer, um dort den Schutz zu finden, der ihr bei ihrem Ehegatten offenbar nicht beschert war. Dussel empfing sie mit den Worten: »Komm in mein Bett, mein Kind!«
Was uns in schallendes Gelächter ausbrechen ließ! Das Kanonenfeuer konnte uns nichts mehr anhaben, unsere Angst war wie weggefegt.
Deine Anne
Sonntag, 13. Juni 1943
Liebe Kitty!
Mein Geburtstagsvers von Vater ist zu schön, als dass ich dir dieses Gedicht vorenthalten kann.
Da Pim in Deutsch dichtete, musste Margot sich ans Übersetzen machen. Urteile selbst, ob sie ihre freiwillige Aufgabe prima erledigt hat. Nach der üblichen kurzen Zusammenfassung der Jahresereignisse folgt:
Als Jüngste von allen und doch nicht mehr klein
Hast du es nicht leicht; ein jeder will sein
Ein bisschen dein Lehrer, dir oft zur Pein!
»Wir haben Erfahrung! – Nimm’s von mir an.«
»Wir haben so was schon öfter getan
Und wissen besser, was einer kann oder mag.«
Ja, ja, so geht es seit Jahr und Tag.
Die eignen Fehler wiegen nicht schwer,
Doch die der anderen umso mehr.
Oft wirst du ermahnt, musst vieles hören,
Gar manches wird dich sicher stören.
Doch können nicht immer dir Recht wir geben.
Nachgiebig muss man sein im Leben.
Und um des lieben Friedens willen
Schluckt manches man wie bittre Pillen.
Das Lebensjahr, das nun beendet,
Hast du sehr nützlich angewendet,
Durch Lernen, Arbeit und viel Lesen
Ist’s doch nie »langweilig« gewesen.
Und nun zur Kleidung: Ich höre dich fragen:
Was kann ich eigentlich noch tragen?
Mein Kleid, mein Rock, alles zu kurz,
Mein Hemd nur noch ein Lendenschurz.
Und dann die Schuhe, es ist nicht zu sagen,
Wie viele Schmerzen mich da plagen.
Ja, wächst man auch zehn Zentimeter,
Passt nichts mehr, das versteht ein jeder!
Bei dem Stück zum Thema Essen ist Margot keine Übersetzung mit Reimen gelungen, deshalb lasse ich es hier ganz weg. Findest du meinen Vers nicht schön?
Ich bin sehr verwöhnt worden und habe sehr schöne Sachen bekommen. U.a. ein dickes Buch über mein Lieblingsthema, die Mythologie von Hellas und Rom. Auch über einen Mangel an Süßigkeiten kann ich nicht klagen, alle haben ihre letzten Vorräte angegriffen. Als Benjamin der Untertauchfamilie bin ich wirklich mit viel mehr beschenkt worden, als mir zusteht.
Deine Anne
Dienstag, 15. Juni 1943
Liebe Kitty!
Es ist eine Menge passiert, aber ich denke oft, dass all mein uninteressantes Geschwätz dich langweilt und du froh bist, wenn du nicht so viele Briefe bekommst. Darum werde ich dir auch nur kurz berichten.
Herr Voskuijl ist nicht an seinem Magengeschwür operiert worden. Als sie ihn auf dem Operationstisch hatten und sein Magen offen war, sahen die Ärzte, dass er Krebs hat, der schon so weit gewachsen war, dass es nichts mehr zu operieren gab. Sie haben die Wunde also nur wieder geschlossen, ihn drei Wochen lang im Bett behalten, ihm gut zu essen gegeben und ihn dann nach Hause geschickt. Aber sie haben eine unverzeihliche Dummheit begangen, nämlich dem armen Mann genau gesagt, wie es um ihn steht. Er kann nicht mehr arbeiten, sitzt zu Hause, umringt von seinen acht Kindern, und grübelt über seinen nahen Tod nach. Er tut mir schrecklich Leid, und ich finde es schlimm, dass wir nicht hinaus können, sonst würde ich ihn bestimmt oft besuchen, um ihn abzulenken. Für uns ist es ein Unglück, dass der gute Voskuijl uns nicht mehr über alles auf dem Laufenden hält, was im Lager passiert und was man so hört. Er war unsere beste Hilfe, was die Vorsicht betrifft, wir vermissen ihn sehr.
Nächsten Monat sind wir an der Reihe, wir müssen unser Radio abliefern. Kleiman hat zu Hause ein illegales Baby-Gerät, das wir als Ersatz für unseren großen Philips bekommen sollen. Es ist ja schade, dass der schöne Apparat abgeliefert werden muss. Aber ein Haus, in dem Leute untergetaucht sind, darf sich auf keinen Fall die Regierung mutwillig auf den Hals laden. Das kleine Radio stellen wir dann natürlich bei uns oben hin. Zu illegalen Juden und illegalem Geld passt auch ein illegales Radio ganz gut. Alle Leute versuchen, einen alten Apparat statt ihrer
Weitere Kostenlose Bücher