Tagebuch (German Edition)
meiste. Na gut, er hat einen gescheiten Kopf, aber die Selbstgefälligkeit dieses Herrn hat ein hohes Maß erreicht.
Die gnädige Frau: Eigentlich sollte ich besser schweigen. An manchen Tagen, vor allem, wenn sie schlecht gelaunt ist, schaut man ihr Gesicht besser nicht an. Genau genommen ist sie an allen Diskussionen schuld. Nicht das Objekt! Oh nein, jeder hütet sich davor, sie anzugreifen, aber man könnte sie die Anstifterin nennen. Hetzen, das ist ihre liebste Beschäftigung. Hetzen gegen Frau Frank und Anne. Gegen Margot und Herrn Frank geht Hetzen nicht so leicht.
Aber nun zu Tisch. Frau van Daan kommt nicht zu kurz, auch wenn sie das manchmal denkt. Die kleinsten Kartoffeln, die leckersten Häppchen, das Zarteste von allem heraussuchen, das ist Madames Parole. Die anderen kommen schon noch an die Reihe, wenn ich erst das Beste habe. (Genau das, was sie von Anne Frank denkt.) Das andere ist Reden. Hauptsache, es hört jemand zu, ob es denjenigen interessiert oder nicht, darauf kommt es offenbar nicht an. Sie denkt sicher, was Frau van Daan interessiert, interessiert jeden. Kokett lächeln, tun, als wüsste man von allem etwas, jedem einen guten Rat geben und jeden bemuttern, das muss doch einen guten Eindruck machen. Aber schaut man genauer hin, geht der Lack ab. Fleißig, eins, fröhlich, zwei, kokett, drei, und manchmal ein hübsches Lärvchen. Das ist Petronella van Daan.
Der dritte Tischgenosse: Man hört nicht viel von ihm. Der junge Herr van Daan ist meistens still und unauffällig. Was den Appetit betrifft: ein Danaidenfass, es wird niemals voll, und nach der kräftigsten Mahlzeit behauptet er seelenruhig, dass er bestimmt noch mal das Doppelte essen könnte.
Nummer 4 ist Margot!: Isst wie ein Mäuschen, redet überhaupt nicht. Das Einzige, was bei ihr reingeht, ist Gemüse oder Obst. »Verwöhnt« ist das Urteil von Herrn und Frau van Daan. »Zu wenig frische Luft und Sport« ist unsere Meinung.
Daneben Mama: Appetit gut, redet eifrig. Niemand kommt bei ihr, wie bei Frau van Daan, auf den Gedanken: Das ist die Hausfrau. Worin der Unterschied liegt? Nun, Frau van Daan kocht, und Mutter spült und putzt.
Nummer 6 und 7 : Über Vater und mich werde ich nicht viel sagen. Ersterer ist der Bescheidenste am Tisch. Er schaut immer erst, ob die anderen schon haben. Er braucht nichts, die besten Sachen sind für die Kinder. Er ist ein Vorbild an Güte, und neben ihm sitzt das Nervenbündel vom Hinterhaus!
Dussel: Nimmt, schaut nicht, isst, redet nicht. Und wenn schon geredet werden muss, dann um Himmels willen nur über Essen, das führt nicht zu Streit, nur zu Aufschneiderei. Enorme Portionen passen in ihn, und »nein« sagt er nie, nicht bei den guten Sachen und auch nicht oft bei schlechten.
Die Hose bis zur Brust hochgezogen, eine rote Jacke, schwarze Lackpantoffeln und eine Hornbrille. So kann man ihn am Arbeitstisch sehen, ewig arbeitend, ohne Fortschritte, nur unterbrochen vom Mittagsschläfchen, dem Essen und (seinem Lieblingsort) dem Klo. Drei-, vier-, fünfmal am Tag steht jemand ungeduldig vor der Klotür und verkneift es sich, hüpft von einem Bein aufs andere und kann es kaum mehr halten. Stört er sich daran? Nicht doch! Von Viertel nach sieben bis halb acht, von halb eins bis eins, von zwei bis Viertel nach zwei, von vier bis Viertel nach vier, von sechs bis Viertel nach sechs und von halb zwölf bis zwölf Uhr nachts, danach kann man sich richten, das sind seine festen »Sitzungen«. Davon wird nicht abgewichen, und er lässt sich auch nicht durch die flehende Stimme vor der Tür stören, die vor einem schnell nahenden Unheil warnt.
Nummer 9 ist kein Hinterhaus-Familienmitglied, aber doch Haus- und Tischgenossin. Bep hat einen gesunden Appetit. Sie lässt nichts stehen, ist nicht wählerisch. Mit allem kann man sie erfreuen, und das gerade erfreut uns. Fröhlich und gut gelaunt, willig und gutmütig, das sind ihre Kennzeichen.
Dienstag, 10. August 1943
Liebe Kitty!
Eine neue Idee! Ich rede bei Tisch mehr mit mir selbst als mit den anderen. Das ist in zweierlei Hinsicht günstig. Erstens sind alle froh, wenn ich nicht ununterbrochen quatsche, und zweitens brauche ich mich über die Meinung anderer Leute nicht zu ärgern. Meine eigene Meinung finde ich nicht blöd, die anderen tun das aber, also kann ich sie genauso gut für mich behalten. Ebenso mache ich es, wenn ich etwas essen muss, was ich überhaupt nicht ausstehen kann. Ich stelle den Teller vor mich und bilde mir ein,
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