Tagebuch (German Edition)
wird das Gefühl nicht doch stärker sein? Manchmal fürchte ich es, und oft ersehne ich es.
Es ist so schwierig, Peter gegenüber nichts zu zeigen, aber ich weiß, dass er anfangen muss. Es fällt mir schwer, all die Gespräche und Handlungen, die ich in meinen Träumen mit ihm erlebt habe, tagsüber wieder als nicht geschehen zu betrachten. Ja, Kitty, Anne ist verrückt, aber ich lebe auch in einer verrückten Zeit und unter noch verrückteren Umständen.
Am besten gefällt mir noch, dass ich das, was ich denke und fühle, wenigstens aufschreiben kann, sonst würde ich komplett ersticken. Was denkt Peter wohl über all das? Immer wieder glaube ich, dass ich eines Tages mit ihm darüber sprechen kann. Es muss doch etwas geben an mir, das er erraten hat, denn die äußere Anne, die er bis jetzt kennt, kann er doch nicht gern haben! Wie kann er, der Ruhe und Frieden so sehr liebt, Sympathie für mein lärmendes und lebhaftes Benehmen fühlen? Ist er vielleicht der Erste und Einzige, der hinter meine Betonmaske geschaut hat? Wird er vielleicht bald dahintersteigen? Gibt es nicht einen alten Spruch, dass auf Mitleid oft Liebe folgt oder dass beides oft Hand in Hand geht? Ist das nicht auch bei mir der Fall? Ich habe genauso viel Mitleid mit ihm, wie ich es oft mit mir selbst habe!
Ich weiß wirklich nicht, wie ich die ersten Worte finden sollte. Wie könnte er es dann, der noch viel mehr Schwierigkeiten hat zu sprechen? Könnte ich ihm nur schreiben! Dann wüsste ich wenigstens, dass er weiß, was ich sagen wollte, mit Worten ist es so entsetzlich schwer.
Deine Anne M. Frank
Freitag, 17. März 1944
Allerliebster Schatz!
Es ist noch mal gut gegangen, Beps Erkältung ist keine Grippe geworden, sondern nur Heiserkeit, und Herr Kugler ist vom Arbeitsdienst durch das Attest eines Arztes befreit worden. Durch das Hinterhaus weht ein Wind der Erleichterung. Alles ist in Ordnung, außer dass Margot und ich unsere Eltern ein bisschen satt haben.
Du darfst das nicht falsch verstehen, ich liebe Vater, und Margot liebt Vater und Mutter, aber wenn man so alt ist wie wir, will man auch ein bisschen für sich selbst entscheiden, will man mal von der Elternhand los. Wenn ich nach oben gehe, wird gefragt, was ich tun will. Bei Tisch darf ich kein Salz nehmen, jeden Abend um Viertel nach acht fragt Mutter, ob ich mich noch nicht ausziehen sollte, jedes Buch, das ich lese, muss geprüft werden. Ehrlich gesagt, diese Prüfung ist überhaupt nicht streng, und ich darf fast alles lesen, aber all diese Be- und Anmerkungen plus die Fragerei den ganzen Tag finden wir lästig.
Noch etwas passt ihnen nicht, ich will nicht mehr den ganzen Tag Küsschen hier und Küsschen da geben. All die süßen, ausgedachten Kosenamen finde ich geziert. Und Vaters Vorliebe, über Winde lassen und die Toilette zu sprechen, finde ich scheußlich. Kurz, ich möchte sie gern mal für eine Weile loshaben, und das verstehen sie nicht. Nicht dass wir ihnen etwas davon erzählt haben, nein, wozu auch, sie würden es nicht kapieren.
Margot hat gestern Abend gesagt: »Ich finde es wirklich blöd. Wenn man kurz den Kopf auf die Hände legt und zweimal seufzt, fragen sie gleich, ob man Kopfweh hat oder sich nicht gut fühlt.«
Es ist für Margot und mich ein richtiger Schlag, dass wir nun plötzlich sehen, wie wenig von dem vertrauten und harmonischen Zuhause übrig ist. Und das liegt zu einem großen Teil daran, dass unser Verhältnis zueinander so schief ist. Ich meine, dass wir wie kleine Kinder behandelt werden, was die äußerlichen Dinge betrifft, und wir innerlich viel älter sind als Mädchen unseres Alters. Auch wenn ich erst vierzehn bin, weiß ich doch sehr gut, was ich will, ich weiß, wer Recht und Unrecht hat, ich habe meine Meinung, meine Auffassungen und Prinzipien. Vielleicht klingt das verrückt für einen Backfisch, aber ich fühle mich viel mehr Mensch als Kind, ich fühle mich unabhängig, von wem auch immer. Ich weiß, dass ich besser debattieren und diskutieren kann als Mutter, ich weiß, dass ich einen objektiveren Blick habe und nicht so übertreibe, ordentlicher und geschickter bin, und dadurch fühle ich mich (du kannst darüber lachen) ihr in vielen Dingen überlegen. Wenn ich jemanden lieben soll, muss ich in erster Linie Bewunderung für ihn fühlen, Bewunderung und Respekt, und diese beiden Punkte vermisse ich bei Mutter vollkommen.
Alles wäre gut, wenn ich nur Peter hätte, denn ihn bewundere ich in vielem. Nicht wahr, er ist
Weitere Kostenlose Bücher