Tagebuch (German Edition)
selten allein«. Peter sagte es gerade. Ich werde dir erzählen, was wir für Unannehmlichkeiten haben und was uns vielleicht noch bevorsteht.
Erstens ist Miep krank. Sie war bei einer Trauung in der Westernkirche und hat sich erkältet. Zweitens ist Kleiman noch immer nicht zurück von seiner letzten Magenblutung, und Bep ist also allein im Büro. Drittens ist ein Mann, dessen Namen ich nicht nennen will, verhaftet worden. Das ist nicht nur für den Betreffenden sehr schlimm, sondern auch für uns, da wir auf Kartoffeln, Butter und Marmelade warten. Herr M., nennen wir ihn mal so, hat fünf Kinder unter 13 Jahren, und eins ist unterwegs.
Gestern Abend haben wir mal wieder einen kleinen Schreck erlebt, weil plötzlich neben uns an die Wand geklopft wurde. Wir waren gerade beim Essen. Der weitere Abend verlief bedrückt und nervös.
Ich habe in der letzten Zeit überhaupt keine Lust, die Ereignisse hier aufzuschreiben, meine eigenen Angelegenheiten gehen mir mehr zu Herzen. Versteh das nicht falsch, ich finde das Schicksal des armen Herrn M. schrecklich, aber in meinem Tagebuch ist doch nicht viel Platz für ihn.
Dienstag, Mittwoch und Donnerstag war ich von halb fünf bis Viertel nach fünf bei Peter. Wir haben Französisch gemacht und über alles und noch was getratscht. Ich freue mich wirklich auf dieses kleine Stündchen nachmittags, und am schönsten ist, dass Peter, glaube ich, mein Kommen auch schön findet.
Deine Anne M. Frank
Samstag, 11. März 1944
Liebe Kitty!
In der letzten Zeit habe ich kein Sitzfleisch mehr. Ich gehe von oben nach unten und von unten wieder nach oben. Ich finde es schön, mit Peter zu reden, habe aber immer Angst, dass ich ihm lästig falle. Er hat mir einiges von früher erzählt, von seinen Eltern und sich selbst, aber ich finde es viel zu wenig und frage mich doch alle fünf Minuten, wie ich dazu komme, mehr zu verlangen. Er fand mich früher unausstehlich, ich ihn auch. Jetzt habe ich meine Meinung geändert, muss er seine auch geändert haben? Ich glaube ja, doch das bedeutet noch nicht, dass wir dicke Freunde werden müssen, obwohl ich meinerseits das ganze Verstecken dann leichter ertragen könnte. Aber ich will mich nicht verrückt machen, ich beschäftige mich genug mit ihm und muss dich nicht auch noch langweilen, weil ich so lahm bin!
Sonntag, 12. März 1944
Liebe Kitty!
Alles wird immer verrückter, je länger es dauert. Seit gestern schaut Peter mich nicht an, als wäre er böse auf mich. Ich gebe mir dann auch Mühe, ihm nicht nachzulaufen und so wenig wie möglich mit ihm zu reden, aber es fällt mir schwer. Was ist es denn, das ihn oft von mir abhält und oft zu mir hindrängt? Vielleicht bilde ich mir auch nur ein, dass es schlimm ist. Vielleicht hat er auch Launen, vielleicht ist morgen alles wieder gut.
Am schwersten ist es, dass ich nach außen hin normal sein muss, auch wenn ich so traurig bin. Ich muss helfen, mit anderen reden und zusammensitzen und vor allem fröhlich sein! Ganz besonders vermisse ich die Natur und einen Platz, wo ich allein sein kann, solange ich will. Ich glaube, ich bringe alles durcheinander, aber ich bin auch völlig verwirrt. Auf der einen Seite bin ich verrückt vor Sehnsucht nach ihm, kann kaum im Zimmer sein, ohne zu ihm hinzuschauen, und auf der anderen Seite frage ich mich, warum es mir eigentlich so viel ausmacht, warum ich nicht wieder ruhig werden kann!
Tag und Nacht, immer wenn ich wach bin, tue ich nichts anderes, als mich zu fragen: »Hast du ihn nicht genug in Ruhe gelassen? Bist du zu oft oben? Redest du zu oft über ernste Dinge, über die er noch nicht sprechen kann? Findet er dich vielleicht überhaupt nicht sympathisch? War der ganze Rummel vielleicht nur Einbildung? Aber warum hat er dir dann so viel über sich selbst erzählt? Tut ihm das vielleicht Leid?« Und noch viel mehr.
Gestern Nachmittag war ich nach einer Reihe trauriger Neuigkeiten von draußen so durchgedreht, dass ich mich auf meine Couch legte. Ich wollte nichts als schlafen, um nicht nachzudenken. Ich schlief bis vier Uhr, dann musste ich hinüber. Es fiel mir schwer, Mutters Fragen zu beantworten und mir für Vater eine Ausrede auszudenken, die mein Schlafen erklärte. Ich schob Kopfschmerzen vor, was nicht gelogen war, da ich auch Kopfschmerzen hatte … von innen!
Normale Menschen, normale Mädchen, Backfische wie ich, werden mich wohl für übergeschnappt halten mit meinem Selbstmitleid. Aber es ist ja so, dass ich dir alles sage, was
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