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Tagebuch (German Edition)

Tagebuch (German Edition)

Titel: Tagebuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Frank
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Zeit. Gib mir meine Kartoffeln, dann halte ich den Mund. Schnell noch was von meiner Ration zur Seite legen, für Bep. Politisch geht es voran, ich bin optimistisch.«
    Herr Dussel:
    »Ich muss mein Pensum schaffen, alles rechtzeitig fertig machen. Mit der Politik geht es ausgezeichnet, dass wir geschnappt werden, ist unmöglich. Ich, ich, ich …!«
    Deine Anne

Mittwoch, 15. März 1944
    Liebe Kitty!
    Puh, ein Weilchen von den düsteren Szenen befreit! Heute habe ich nichts anderes gehört als: »Wenn dies oder das passiert, dann bekommen wir Schwierigkeiten, wenn der noch krank wird, stehen wir allein auf der Welt …, wenn dann …«
    Nun ja, den Rest weißt du schon. Ich vermute wenigstens, dass du die Hinterhäusler inzwischen gut genug kennst, um ihre Gespräche zu erraten.
    Der Anlass für dieses »wenn, wenn« ist, dass Kugler zu sechs Tagen Arbeitsdienst aufgerufen worden ist, Bep mehr als nur einen Stockschnupfen hat und wahrscheinlich morgen zu Hause bleiben muss, Miep von ihrer Grippe noch nicht genesen ist und Kleiman eine Magenblutung mit Bewusstlosigkeit gehabt hat. Eine wahre Trauerliste für uns.
    Kugler muss unserer Meinung nach zu einem zuverlässigen Arzt gehen, sich ein Attest schreiben lassen und es auf dem Rathaus in Hilversum vorlegen. Für morgen haben die Arbeiter vom Lager einen Tag frei bekommen, Bep ist dann allein im Büro. Wenn (schon wieder ein Wenn) sie zu Hause bleibt, dann bleibt die Tür verschlossen und wir müssen mäuschenstill sein, dass die Leute im Nachbarhaus nichts hören. Jan will um ein Uhr kommen und die Verlassenen für eine halbe Stunde besuchen, er spielt dann sozusagen die Rolle eines Zoowärters.
    Jan hat heute Mittag zum ersten Mal seit langer Zeit wieder mal was von der großen Welt erzählt. Du hättest sehen müssen, wie wir acht um ihn herum saßen, genau wie auf einem Bild »Wenn Großmutter erzählt«.
    Er kam vom Hundertsten ins Tausendste vor seinem dankbaren Publikum und sprach in erster Linie natürlich vom Essen. Eine Bekannte von Miep kocht für ihn. Vorgestern bekam er Karotten mit grünen Erbsen, gestern musste er Reste essen, heute kocht sie Ackererbsen, und morgen gibt’s aus den übrig gebliebenen Karotten Eintopf.
    Wir erkundigten uns nach Mieps Doktor.
    »Doktor?«, fragte Jan. »Was wollen Sie vom Doktor? Ich rief heute Morgen bei ihm an, bekam so ein Assistentchen ans Telefon, bat um ein Rezept gegen Grippe und erhielt die Antwort, dass ich es zwischen acht und neun abholen könnte. Wenn man eine sehr schwere Grippe hat, kommt der Doktor selbst kurz an den Apparat und sagt:
    ›Strecken Sie mal Ihre Zunge raus! Sagen Sie aah! Ich höre schon, Sie haben einen roten Hals. Ich schreibe ein Rezept für Sie, damit können Sie zur Apotheke gehen. Guten Tag, mein Herr.‹ Und damit basta. Bequeme Praxis ist das, ausschließlich Bedienung durchs Telefon. Aber ich sollte den Ärzten nichts vorwerfen, schließlich hat jeder Mensch nur zwei Hände, und heute gibt es einen Überfluss an Patienten und nur eine minimale Zahl an Ärzten.«
    Trotzdem mussten wir lachen, als Jan das Telefongespräch wiedergab. Ich kann mir wirklich vorstellen, wie ein Wartezimmer gegenwärtig aussieht. Man schaut nicht mehr auf Kassenpatienten hinab, sondern auf Leute, denen nichts Schlimmes fehlt, und denkt sich: Mensch, was hast du hier zu suchen? Hinten anstellen, wirklich Kranke haben Vorrang!
    Deine Anne M. Frank

Donnerstag, 16. März 1944
    Liebe Kitty!
    Das Wetter ist herrlich, unbeschreiblich schön. Ich gehe sicher bald zum Dachboden.
    Ich weiß jetzt, warum ich so viel unruhiger bin als Peter. Er hat ein eigenes Zimmer, in dem er arbeitet, träumt, denkt und schläft. Ich werde von einer Ecke in die andere geschoben. Allein bin ich in meinem geteilten Zimmer nie, und doch sehne ich mich so sehr danach. Das ist auch der Grund, weshalb ich zum Dachboden flüchte. Dort und bei dir kann ich mal kurz, ganz kurz, ich selbst sein. Doch ich will nicht über meine Sehnsüchte jammern, im Gegenteil, ich will mutig sein!
    Glücklicherweise merkt niemand etwas von meinen Gefühlen, außer dass ich mit jedem Tag kühler und verächtlicher gegen Mutter bin, mit Vater weniger schmuse und auch Margot gegenüber nichts mehr rauslasse, ich bin völlig zugeknöpft. Ich muss vor allem meine äußere Sicherheit bewahren, niemand darf wissen, dass in mir noch immer Krieg herrscht. Krieg zwischen meinem Verlangen und meinem Verstand. Bis jetzt hat letzterer den Sieg errungen, aber

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